Jürgen Fritz gehört auf dem Gebiet der biologisch-dynamischen Landwirtschaft zu den führenden Wissenschaftlern. Seine Forschungsergebnisse liefern erstmals ein nachvollziehbares Wirkmodell für die biodynamischen Präparate.
Sie kamen als junger Zivildienstleistender erstmals mit der biologisch-dynamischen Landwirtschaft in Berührung. Was hat sie damals überzeugt?
Jürgen Fritz: Ich hatte keinerlei biodynamisches Vorwissen und tat mich ausgesprochen schwer, einen Zugang zu finden. Das Verhältnis dieser Landwirtschaft zu Natur und Tier war mir zwar sehr sympathisch. Auch die Rolle der Kuh und der Betrieb als Organismus waren für mich schlüssig. Ich fragte mich, warum ich trotzdem kritisch blieb. Mir wurde klar: Ich verstand einfach vieles nicht, hatte offene Fragen. Da entschied ich, mich wissenschaftlich mit der biodynamischen Landwirtschaft zu beschäftigen.
Die Wissenschaftlichkeit der biodynamischen Landwirtschaft wird in den Medien regelmässig angezweifelt oder gar in Abrede gestellt. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Ich halte das für völlig gesund und normal. Man muss kritisch sein. Ich kann das am besten anhand meiner eigenen Geschichte erklären. Für meine Doktorarbeit forschte ich am biodynamischen Hornkieselpräparat. Als ich signifikante Ergebnisse hatte, die statistisch unterscheidbar waren, konnte ich das selbst nicht glauben. Ich ging minutiös alle Fehlerquellen durch. Erst danach vertraute ich meinen eigenen Resultaten. Man rührt vier Gramm Quarzmehl, das man in einem Kuhhorn präpariert hat, eine Stunde lang an und spritzt es aufs Feld. Und das soll einen Effekt auf das Pflanzenwachstum haben? Der Naturwissenschaftler in mir sagt erst einmal, das ist doch völlig abgefahren. Das Vertrauen kommt erst mit stichfesten Forschungsresultaten.
Erforscht ist vor allem, dass die Präparate wirken, aber nicht, wie sie wirken.
Das stimmt, aber in den letzten drei Jahren haben wir in diesem Bereich grosse Fortschritte gemacht. Wir haben erstmals Hinweise darauf gefunden, wie die Präparate wirken könnten: Sie scheinen das Bodenmikrobiom so zu beeinflussen, dass das Pflanzenwachstum unterstützt wird.
Was ist das Mikrobiom?

Unter dem Mikrobiom versteht man die Gesamtheit der Mikroorganismen, also der Bakterien und Pilze, im Boden. Ich arbeite unter anderem mit der sogenannten Multi-SIR-Methode. SIR steht für substrate induced respiration, also substratinduzierte Atmung. Einfach ausgedrückt: Ich kann mit dieser Methode die Struktur der Bodenatmung erforschen. Und da zeigt sich nun, dass es signifikante und reproduzierbare Unterschiede gibt zwischen Böden, die mit biodynamischen Präparaten behandelt worden sind und solchen ohne eine Behandlung. Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass das Mikrobiom sich verändert durch die Anwendung der biodynamischen Präparate.
Untersuchen Sie auch direkt das Mikrobiom und wenn ja wie sieht diese Forschung aus?
Ja wir schicken eine Bodenprobe von wenigen Gramm an ein Labor und bekommen von dem Labor eine Liste mit 1000 Bakterien und 900 Pilzen, die sie in der Probe gefunden haben. Aber nicht nur das. Das Labor analysiert auch die Vernetzung der Bakterien untereinander. Auch da lässt sich ein positiver Effekt der Präparate nachweisen. Wir haben in einem breit angelegten Versuch an 23 Standorten in Deutschland und Frankreich festgestellt, dass überwiegend mit der Anwendung der biodynamischen Spritzpräparate der Anteil an potenziell wachstumsfördernden Bakterien und Pilzen im Boden signifikant höher ist. Das sind sehr deutliche Ergebnisse.
Und das steckt alles in den Präparaten?
Ja. Wir konnten nachweisen, dass potenziell wachstumsfördernde Mikroorganismen in den Präparaten in hohen Anteilen vorkommen. Unsere Hypothese war deshalb, dass der Boden durch das Ausbringen der Präparate mit den potenziell wachstumsfördernden Mikroorganismen geimpft wird. Um den Effekt der Beimpfung nachweisen zu können, machten wir eine Zeitreihe. Wir spritzten das Präparat und massen danach während rund vier Monaten die Anzahl der potenziell wachstumsfördernden Mikroorganismen im Boden. In den ersten acht Wochen nach dem Ausbringen der Präparate stiegen die Werte kontinuierlich an, danach senkten sie sich langsam wieder. Das ist das erwartete typische Verhalten für eine Beimpfung des Bodens und unterstützt daher die Hypothese, dass das Ausbringen der Spritzpräparate eine Beimpfung des Bodens mit potenziell wachstumsfördernden Mikroorganismen ist. Sie kommen mit dem Präparat in den Boden, wo sie dann für eine gewisse Zeit aktiv sind.
Noch einmal: Das steckt in den Präparaten?
Ja, tatsächlich. Wir untersuchten auch, ob eine sogenannte Kolonisierung stattfindet. Das heisst, ob wir jene Mikroorganismen, die im Präparat in besonders hoher Dichte vorkommen, anschliessend auch höher konzentriert im Boden finden. Auch dieser Zusammenhang war hoch signifikant vorhanden. All das spricht dafür, dass wir mit den biodynamischen Spritzpräparaten ein hoch effektives Substrat haben, mit dem wir den Boden mit wachstumsfördernden Mikroorganismen beimpfen können.
Wurden diese Resultate von anderen Forschenden überprüft?
Ja, zum Beispiel von Gabriele Berg. Sie ist eine renommierte Wissenschaftlerin auf dem Gebiet des Mikrobioms und gehört zu den 100 meistzitierten Forscherinnen in diesem Bereich. Sie hat das Mikrobiom des Präparats mit jenem des Wurzelbereichs von behandelten Pflanzen verglichen. Sie fand mit einer Methode, die die Herkunft der Bakterien und Pilze im Boden bestimmt, hohe Anteile an Bakterien und Pilzen, die aus den Präparaten stammten. Und auch sie dokumentierte den Zeiteffekt, den ich vorher beschrieben habe.
Das klingt überzeugend.
Wenn mich Arbeitskollegen früher fragten, wie die Wirkung der Präparate erklärt werden kann, dann wusste ich keine Antwort. Jetzt haben wir erstmals ein nachvollziehbares Wirkmodell. Die Sache hat aber einen Haken: Die Beimpfung mit wachstumsfördernden Mikroorganismen funktioniert nicht wie eine klassische Stickstoffdüngung, die stets identische Effekte bringt. Die Situationen im Boden sind sehr vielfältig. Dadurch haben wir in einem Jahr gute Effekte mit den Präparaten, im Folgejahr haben wir keine Effekte. Diese Reaktion kennen wir auch vom Beimpfen des Bodens mit einzelnen oder mehreren gezielt zusammengestellten potenziell wachstumsfördernden Mikroorganismen. Da sind noch viele Fragen offen.
Es liegt also noch viel Arbeit vor Ihnen!
Ja. Nach der Freude über die Fortschritte bei der Erforschung der Wirkungsweise der Präparate wurde uns deutlich wie viele Folgefragen noch offen sind. Wir wollen in weiteren Versuchen die Wirkungsweise der Spritzpräparate besser verstehen. Wir müssen auch beachten, dass wir mit den Mikrobiomuntersuchungen nur auf die Ebene des Lebendigen schauen.
Wie findet der Wissenstransfer aus Ihrer Forschung in die Landwirtschaft statt?
Unsere Publikationsarbeit darf nicht beim englischsprachigen Artikel im wissenschaftlichen Fachjournal enden. Sie muss weiter gehen bis in die Zeitschriften der Landwirt*innen, etwa die «Lebendige Erde» . Da habe ich unsere Forschungsresultate zum Mikrobiom in einer einfachen, leichter zugänglichen Sprache ebenfalls publiziert.
Was sind für Sie die Alleinstellungsmerkmale der biodynamischen Landwirtschaft?
Mit den Alleinstellungsmerkmalen ist es so eine Sache. Ich kann das anhand der Kompostierung gut beschreiben. Die Mietenkompostierung ist typisch für den biodynamischen Landbau. Es gibt sie sehr lange, schon Steiner hat sie beschrieben. Nun arbeitet die biologisch-organische Landwirtschaft seit einiger Zeit ebenfalls mit Kompost. Ist der biodynamischen Landwirtschaft nun ihr Alleinstellungsmerkmal abhandengekommen? Ich finde das nicht wichtig. Es geht nicht darum, dass wir ein Alleinstellungsmerkmal haben und irgendwo den Stempel «biodynamisch» draufdrücken können. Es geht darum, dass wir hier eine fruchtbare Methode entwickelt haben, die nun breiter angewendet wird. Ich finde das super.
Könnte die biodynamische Landwirtschaft die Welt ernähren?
Das ist ein komplexes Thema. Ein zentrales Problem in der Landwirtschaft ist die Zerstörung der Böden, die Erosion. Wir brauchen eine bessere Bodenstruktur, die mehr Wasser aufnehmen und Trockenperioden abfedern kann. Der DOK-Versuch in der Schweiz zeigt, dass unter den Standort- und Managementbedingungen des Versuchs die biodynamische Landwirtschaft das resilienteste System ist mit der höchsten Humusmenge und den besten Wasserspeicherqualitäten. Schauen wir uns aber die heutigen Essgewohnheiten an, könnten wir die Welt biodynamisch nicht ernähren. Solange wir einen Grossteil des Getreides und des Sojas als Tierfutter in der Fleischproduktion verwenden, geht das nicht. Die biodynamische Landwirtschaft könnte die Welt nur ernähren, wenn wir den Fleischkonsum deutlich reduzieren. Aber: Die vegane Ernährung ist auch nicht sinnvoll. Wir brauchen Feinleguminosen wie Klee und Luzerne, die den Boden aufbauen und mit Stickstoff versorgen. Und dann ist es eben schlüssig, wenn wir Klee und Luzerne nicht kompostieren, sondern damit Tiere füttern. Die liefern wiederum den besten Dünger für den Boden. Dieser Kreislauf ist sehr schlüssig. Aber er bedingt auch, dass wir keine Nahrungsmittel verfüttern. Das Schlagwort dazu ist: Feed no Food. Wenn wir das machen, kann der biodynamische Landbau die Welt ernähren.
Zum Schluss eine ketzerische Frage: Wer weiss, ob bei Steiners Auswahl der Präparate nicht auch Zufall im Spiel war? Hätten es nicht geradesogut zwei mehr oder eines weniger sein können?
(Lacht) Die kritischen Fragen sind immer die spannendsten! Die biodynamische Bewegung ist sehr entwicklungsfreudig. Die Präparatearbeit wird mit viel Kreativität laufend weiterentwickelt und optimiert. Maria Thun und andere haben eigene Präparate entwickelt, weil sie zum Schluss kamen, dass noch etwas fehlte. Oder schauen Sie sich meine Doktorarbeit an: Da habe ich unter anderem untersucht, wie sich die Wirkung der Präparate verändert, wenn ich bestimmte Pflanzenextrakte hinzufüge. Ich konnte so eine bessere Wirkung der Präparate nachweisen. Sie sehen: Die Präparatearbeit ist nicht in Stein gemeisselt.
Jürgen Fritz erforscht seit vielen Jahren die biodynamischen Präparate. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fachgebiets Ökologischer Land- und Pflanzenbau an der Universität Kassel (D) koordiniert er den Bereich biologisch-dynamische Landwirtschaft. Weiterführende Informationen
Interview: Patrick Schellenberg, Demeter Schweiz