Mit der Studie «Die biodynamische Bewegung und Demeter in der NS-Zeit» liegt erstmals eine detaillierte wissenschaftliche Untersuchung zum Thema vor. Sie zeichnet ein differenziertes Bild der Verbindungen zwischen der biodynamischen Bewegung und dem Nationalsozialismus in Deutschland.

«Akteure, Verbindungen, Haltungen», so lautet der Untertitel des über 400-seitigen Buchs, das am 2. Juli 2024 im Dokumentationszentrum Topographie des Terrors in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Die Autor*innen haben unter anderem 10 000 Seiten aus dem nationalsozialistischen Apparat sowie Akten aus Ministerien – Materialien aus insgesamt mehr als 30 Archiven und Nachlässen ausgewertet.

Das Studienteam zeichnet auf dieser breiten Quellengrundlage die komplexe Geschichte der biodynamischen Bewegung mit differenzierenden Nuancen bei klaren Feststellungen nach. Ein Ergebnis der Studie: Die biodynamische Bewegung hat sich «in die komplexe Struktur des sich überlappenden NS-Partei- und Staatssystems integriert».

Keine Zustimmung zu Antisemitismus und Rassismus

Die Autor*innen halten weiter fest: «Der Opportunismus der Biodynamiker speiste sich überwiegend aus ihrer Mission zur Rettung des Bodens und dem Willen, der Wirtschaftsweise als Idee und in der Praxis zu gesellschaftlicher Akzeptanz zu verhelfen.»

Das Team schreibt zudem, dass es in biodynamischen Schriften und Publikationen auf keine Zustimmung zu Antisemitismus, Rassismus und Chauvinismus sowie zur Vernichtung sogenannten «unwerten» Lebens gestossen sei. Auch hätten nicht alle Mitglieder dem Weg des biodynamischen Reichsverbands zugestimmt.

Aus der Geschichte lernen

Alfred Schädeli, Präsident des Vereins für biologisch-dynamische Landwirtschaft in der Schweiz, sagt: «Wir sind dankbar für diese gross angelegte Studie. Sie schafft Klarheit über ein wichtiges und in vielen Aspekten schmerzliches Kapitel in der Geschichte der biodynamischen Landwirtschaft.»

Herman lutke Schipholt, Präsident des Schweizerischen Demeter-Verbands ergänzt: «Wir stellen uns dieser Geschichte bedingungslos und lernen von ihr. Die biodynamische Bewegung steht heute für Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Pluralismus und Kosmopolitismus. Wir distanzieren uns klar von Extremismus und menschenfeindlichen Bestrebungen.» Diese Haltung geht auch aus dem Positionspapier hervor, das bereits 2020 veröffentlicht worden war.

Förderung und Verbot

1933: Statt sich selbst aufzulösen, hatten sich die Mitglieder der biodynamischen Verbände für die Gleichschaltung mit dem NS-Staat entschieden, die schliesslich zur Gründung des Reichsverbands für biologisch-dynamische Wirtschaftsweise in Landwirtschaft und Gartenbau führte. Seit 1934 gab es – im Schutz unter anderem von Rudolf Hess – immer wieder institutionelle Verknüpfungen zwischen biodynamischer Bewegung und Nationalsozialismus.

Gleichzeitig gab es Machtkämpfe innerhalb des nationalsozialistischen Apparats. Man stritt sich, ob die biodynamische Landwirtschaft gefördert oder verboten werden solle. Die chemiekritische Ausrichtung der biodynamischen Landwirtschaft war insbesondere der Agrarindustrie ein Dorn im Auge.

1941 löste die Gestapo den Reichsverbands für biologisch-dynamische Wirtschaftsweise in Landwirtschaft und Gartenbau auf. «Nach dem Verbot des Reichsverbands entstand die absurde Situation, dass es nun die SS war, die die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise hauptsächlich förderte und fortführte», stellt die Studie fest.

Heinrich Himmler, Reichsführer SS und studierter Landwirt, interessierte sich für die biologisch-dynamische Landwirtschaft. So kam es zur Kollaboration einzelner biodynamischer Exponenten beim Betreiben von Anbauflächen in Konzentrationslagern wie Dachau, Ravensbrück und Mauthausen sowie in einem ukrainischen Versuchsgut in Wertingen.

Differenzierte Darstellung

Das Studienteam stellt die Handlungsweisen der prägenden Protagonisten differenziert ins Spannungsfeld zwischen Anpassung und Bemühen um den Erhalt der biodynamischen Wirksamkeit. So blieb zum Beispiel Erhard Bartsch, führender Kopf des Reichsverbands, «in erster Linie überzeugter Anthroposoph», «vertrat keine antisemitischen Positionen», unterstützte aber, «den nationalsozialistischen Staat und verehrte die ‹Persönlichkeit› Adolf Hitlers».

Auftraggeber der Studie sind die Vereine Demeter Deutschland und Biodynamic Federation Demeter International sowie die Sektion für Landwirtschaft am Goetheanum. Finanziert haben die Studie die Auftraggeber sowie die Software-AG-Stiftung, die Stiftung Edith Maryon und der Rudolf-Steiner-Fonds.

 

«Die biodynamische Bewegung und Demeter in der NS-Zeit»

Von Jens Ebert, Susanne zur Nieden und Meggi Pieschel
© 2024 Metropol Verlag
ISBN: 978-3-86331-760-7