19. Februar 2020
Die Neuerfindung der Gartenbauschule Hünibach
Die Gartenbauschule Hünibach GSH ist die einzige biologisch-dynamische Gartenbauschule der Schweiz. Die 54 Ausbildungsplätze in den Fachrichtungen Zierpflanzengärtner*in, Staudengärtner*in und Gartenbauer*in stehen Jugendlichen mit besonderem Interesse an biologischem Gartenbau oder mit erschwerten Einstiegsbedingungen offen. Jährlich startet eine neue Klasse mit rund 20 Lernenden.
In den zwei eigenen Läden in Hünibach stehen die erzeugten Produkte zum Verkauf. Im Blumen- und Pflanzenladen werden Schnittblumen und Zierpflanzen, Kräuter und Heilpflanzen, Wild- und Blütenstauden, Gemüse- und Blumensetzlinge sowie Erde, eigener Kompost und Pflanzenschutzmittel für den biologischen Garten angeboten. Die angehenden Kundengärtner*innen bringen auf Wunsch auch biodynamische Präparate in Hausgärten aus. Im Bioladen findet man ein tolles Sortiment an frischem Gemüse – grossenteils aus eigenem biodynamischem Anbau –, Saisonfrüchten, biologischen Lebensmitteln und Delikatessen, täglich frischem Brot sowie ein kleines gemütliches Café. Die Gewürze, Gewürzmischungen und Tees nach Rezepten des Hauses stammen aus eigener Produktion.
Unsere Fragen beantwortet Marianna Serena, Direktorin der GSH. Sie hat diese in den vergangenen dreieinhalb Jahren sicher durch die stürmischen Gewässer geführt, welche die drastische Kürzung der Subventionen verursacht haben.
Die Ausbildung
Marianna Serena, kann man in der Gartenbauschule Hünibach, kurz GSH, einen Abschluss als biodynamische Gärtnerin oder als biodynamischen Gartenbauer machen?
Nein, diese Berufsbezeichnung gibt es nicht. Wir bilden Gärtner*innen aus in den Fachrichtungen Zierpflanzen und Stauden sowie Garten-/Landschaftsbau. Das sind eidgenössisch anerkannte EFZ-Abschlüsse.
Unseren Lernenden bieten wir aber ein schuleigenes Zusatz-Zertifikat «Biologisches und biodynamisches Gärtnern» an. Dafür haben wir eigene Module aufgebaut, in denen Grundwissen vermittelt wird. In der Praxis wird der biodynamische Anbau allen Lernenden umfassend vermittelt; wir stellen auch alle Präparate, die wir auf dem Betrieb verwenden, selber her. Grundsätzlich finden die Lernenden bei uns Lehrwerkstatt und Berufsfachschule zugleich. Beide werden vom Kanton dort subventioniert, wo die Berufsziele laut eigener Bildungsverordnung abdeckt sind. Die Zusatzausbildung «Biologisches und biodynamisches Gärtnern» jedoch müssen wir seit 2019 selbst finanzieren.
Ihr bietet das Modul trotzdem weiter an. Warum?
Das ist ja gerade das Herzstück unserer Ausbildung! Wenn wir das nicht machen würden, würden wir eine ganz normale, konventionelle Gärtner*innenausbildung anbieten. Das entspricht aber nicht dem Stiftungszweck, der ganz klar den biodynamischen Anbau enthält. Unsere Gründerinnen haben das seit 1934 so gehalten. Das ist unser Auftrag. Wir müssen für diesen Bereich in Zukunft Fremdmittel generieren, sei das nun über weitere Stiftungen oder Grossgönner.
Welche Anforderungen stellt der Verein für biologisch-dynamischen Landbau an euch, damit ihr diesen Auftrag erfüllen könnt?
Der Verein hat ein Mitspracherecht bei neuen Stiftungsrät*innen. Und selbstverständlich müssen wir den Grundsatz der Gesamtbetrieblichkeit erfüllen, das heisst, wir produzieren hier 100 Prozent biodynamisch. Auch ohne Tiere bilden wir einen Hoforganismus: Wir verstehen uns als Gemeinschaft aus den unterschiedlichsten Menschen mit den unterschiedlichsten Begabungen und Herausforderungen. Menschen, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen, und solche, die durch die Arbeit hier erst Boden finden müssen, zusammen mit den Ausbildner*innen. Dieses Gemeinsame wollen wir fördern.
Topfkulturen – eine besondere Herausforderung
Was heisst Demeter für den Anbau von Zierpflanzen und Gemüse? Welche Herausforderungen stellt das an den Betrieb?
Man muss vorweg mal trennen zwischen Freilandanbau und Topfkulturen. Freilandkultur ist einfach. Da produzieren wir Gemüse und Schnittblumen direkt in der Erde. Da sind wir nahe an der Landwirtschaft und können Präparate ausbringen, für den Humusaufbau sorgen und die Lebenskraft des Bodens fördern.
Und wie kann man sich den biodynamischen Anbau von Topfpflanzen vorstellen?
Da wird es nun schwieriger. Es gibt natürlich gewisse Vorgaben: Zum Beispiel ist der eigene präparierte Kompost die Grundlage für das Substrat der Staudenproduktion. Dieses muss lockerer und leichter als Ackererde sein, damit sich im Topf keine Staunässe bildet. Die Topferde kann Ackererde enthalten, aber nicht nur. Man gibt verschiedene Komposte, Kokosfasern, Bimsgesteine und anderes dazu, im konventionellen Anbau auch Torf., Das Topfsubstrat muss so aufgebaut sein, dass es gut Wasser speichern und dafür sorgen kann, dass die Pflanzen im Topf drin etwas Luft haben um die Wurzeln herum. Das ist wichtig für die Mikroorganismen, die auch im Topf dafür sorgen, dass Nährstoffe um- und abgebaut werden. Der präparierte Kompost stärkt diese Vitalität, was für die Pflanze ganz wichtig ist.
Funktioniert die Kommunikation der Pflanze mit den Mikroorganismen über die Wurzeln im Topf drin ebenfalls?
Ja, aber sehr beschränkt. Was hingegen genauso klappt, ist die Kommunikation über Duftstoffe, sie haben ja immer Nachbarinnen neben sich. Das ist eine spannende, aber noch nicht sehr gut erforschte Materie. Irgendwie funktioniert es, die Pflanzen leben, wachsen, gedeihen, blühen und bringen auch Frucht, aber das alles in einem künstlichen Umfeld, in künstlichem Boden, den der Mensch für sie zusammengemischt hat.
Wildes findet in die Gärten zurück
Spürt die GSH das wachsende Bewusstsein der Menschen in Bezug auf Natur?
Ja, das spüren wir stark. Man will nicht mehr einfach nur für eine Saison schöne Balkonkistli bepflanzt haben, um im Herbst dann wieder alles zu kompostieren. Man realisiert wieder, dass Pflanzen im Garten ein Teil eines Ökosystems sind, in dem Tiere, Insekten usw. leben und wo sie mit anderen Pflanzen in Kontakt sind. Es wird heute vermehrt das Ganze in Betracht gezogen, Pflanzen werden weniger wie ein Spielzeug behandelt. Stauden sind sehr stark im Trend, genau aus den vorher genannten Gründen: Jugendliche wollen heute lieber mit Wildpflanzen arbeiten, die in unsere Ökologie passen. Wir haben Staudenproduktion und Landschaftsbau neu in die Ausbildung integriert.
Wie steht es mit dem Gemüse?
Wir haben einen Freiland-Gemüseanbau. Ein kleiner Teil wie Tomaten, Auberginen und Peperoni wird auch im Folientunnel gehalten, weil die etwas mehr Wärme brauchen. Wir kultivieren etwa fünfzig verschiedene Gemüsearten und ziehen 200’000 Gemüsesetzlinge pro Jahr. Diese sowie das Gemüse, das wir aus einem Teil davon produzieren – verkaufen wir vor allem hier im Laden und an einigen Spezialitätenmärkten.
Auch wenn die Bildungsverordnung des Bundes sagt, dass ein Gärtner nichts von Gemüse verstehen muss, bieten wir den Lernenden ein internes Praktikum im Gemüsebau an, das nicht subventioniert wird und das wir neu nach unternehmerischen Gesichtspunkten aufstellen müssen. Dieser Teil ist bei den Lernenden sehr beliebt und weckt ihr Interesse.
Das Gute behalten und weiterentwickeln
Wie hält man es in der GSH mit der Bodenbearbeitung?
Da sind wir momentan in einer spannenden Diskussion: Wie wollen wir in Zukunft anbauen? Momentan pflügen wir die Gemüsebeete einmal jährlich ganz traditionell und hacken sie maschinell, anders könnten wir die Fläche gar nicht bewirtschaften. In den vergangenen Jahren haben wir bereits Erfahrungen gesammelt mit dicken Mulchschichten – aber hier stellt sich die Frage, woher wir das viele Material nehmen, denn es soll ja aus dem eigenen Betrieb stammen.
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich auf diesem Gebiet vor allem im Biobereich einiges getan. Das wird sich alles durch Ausprobieren und eigenes Beobachten weiterentwickeln und mit dem Biodynamischen zusammengehen. Für mich gehört die Veränderung untrennbar zum Leben dazu: Die biodynamische Landwirtschaft ist zu einem bestimmten Zeitpunkt entstanden, aber sie entwickelt sich ständig weiter.
Was bedeutet der biodynamische Hintergrund für den Betrieb Gartenbauschule Hünibach?
Er erfordert eine Auseinandersetzung mit der Frage: Was gehört dazu, was nicht. Für mich gibt es nicht ein Richtig und ein Falsch. Wenn es zu dogmatisch wird, stosse ich an meine Grenzen. Vieles ist offen und nicht ganz fassbar. Diese Offenheit darf man auch einfach sein und wirken lassen – ja, ich glaube, darum geht es gerade. Was wir nicht fassen können, sollen wir nicht zementieren.
Die Weiterentwicklung der Richtlinien beobachte ich dagegen sehr interessiert. Zwar geht es da momentan oft um Tiere, aber die Pflanzengesundheit wird zum Glück zunehmend ein Thema. Das ist für mich unerlässlich, dass man sich im Verein damit beschäftigt. Diese Fragestellungen sind jetzt im Raum, und da könnten wir auch einiges beitragen. Wir machen das hier doch schon lange und sind uns vielem bewusst. Leider gibt kaum Vergleichsbetriebe, produzierende Gärtnereien, mit denen wir austauschen können.
Welches persönliche Interesse steht dahinter, in diesem Betrieb im Zusammenhang mit Biodynamik und Demeter zu arbeiten?
Ursprünglich wurde ich zur Hauswirtschafts- und Sportlehrerin ausgebildet, danach habe ich Gartenbauingenieurin studiert und während vielen Jahren im Gartenbau und bei Pro Specie Rara in der Gemüseerhaltung gearbeitet, oft in engem Austausch mit der Sativa Rheinau. Als überzeugte Bio-Gärtnerin habe ich wissen wollen, was das Biodynamische ist und habe mich lesend informiert. Hier in der Gartenbauschule Hünibach war dann trotzdem alles recht neu für mich, und ich musste mich mit vielen Fragen auseinandersetzen. Wir alle tun das hier, und ich beobachte, dass sich die meisten Menschen in der biodynamischen Bewegung diese Fragen stellen: Wie weit geht man, was will man, welches ist der Schwerpunkt, was gehört unbedingt dazu, was ist vielleicht fakultativ? Worum geht es wirklich? Da kollidieren manchmal Weltanschauungen, oder sie ergänzen sich – diese ganze «Bio-Dynamik» fasziniert mich.
Ich bin überzeugt, dass biodynamisch bearbeitete Böden um einiges vitaler sind als biologische oder konventionelle. Wir haben hier keinen Vergleich, aber der Langzeit-Versuch am Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL zeigt die Unterschiede klar, und dies gerade auch für Menschen mit naturwissenschaftlichem Hintergrund, die etwas verstehen und nicht nur glauben möchten. Im Gspüri habe ich es ganz klar, dass noch mehr dazu gehört. Für mich gibt es bei den Pflanzen eine spirituelle Transzendenz, wie bei allem auf der Welt: eine Verbindung unter allen Lebewesen, da gehören Pflanzen, Tiere und Menschen dazu – und der Boden, dieser von Abermillionen von Mikroorganismen belebte Organismus. Diese Dimensionen können wir noch gar nicht erfassen, das Zusammenspiel verstehen wir noch nicht wirklich. Zum Beispiel bei den Präparaten – was da genau geschieht, das wissen wir nicht, aber wir erleben die Wirkung.
Die Traditions-Institution macht den Schritt in die wirtschaftliche Zukunft
Die Subventionskürzungen drohten den Betrieb aus den Angeln zu heben. Ist die Gartenbauschule Hünibach heute wieder im Gleichgewicht? Fehlt ihr etwas?
Wir sind stark gefordert. Man wollte uns die Subventionen ja ganz streichen: In dem Fall hätten wir wirklich schliessen müssen. Man hat sie schliesslich um 40 % stark gekürzt, was bedeutet, dass wir uns jetzt in einer grundlegenden Umstrukturierungsphase befinden. In jenen Bereichen, die nicht mehr subventioniert sind, müssen wir uns neu unternehmerisch aufstellen. Das erzeugt natürlich Spannungen: Werden wir nun ein Wirtschaftsbetrieb? Wollen wir das werden? Was behalten wir von dem, was uns wichtig ist, was müssen wir aufgeben? Wir sind jetzt bei diesen Grundsatzfragen. Aber wir sind damit nicht allein; das Unternehmerische hält vermehrt Einzug in die Non-Profit-Welt.
Klar ist heute, dass wir den Biokurs, den Gemüsebau und den Bioladen behalten. Wie wir das über die Jahre finanziell tragen können, ist uns noch nicht klar. Aber wir sind auf dem Weg. Glücklicherweise ist der ganze Lehrlingsbereich dank dem neuen Leistungsvertrag mit dem Kanton gesichert, das läuft gut.
Wir sind ständig neu am Suchen und Finden eines dynamischen Gleichgewichts; wir dürfen im Moment weder ausruhen noch stehenbleiben. Der Slogan der GSH ist „Werden – Wachsen – Wirken“, mit Fokus auf die Pflanzen, aber auch auf die Menschen hier. Für mich fehlt dabei der vierte Teil: das Sterben, das Vergehen. Und da sind wir nun: Was lassen wir sterben? Das braucht Mut, denn alles sträubt sich dagegen. Aber es sind nur Teilbereiche, die wir jetzt zu Ende gehen lassen, im Wissen, dass es dabei um das Überleben des Ganzen geht. Mir liegt das strategische Denken: „Wo gehen wir hin, wie wesentlich ist etwas?“ Man soll grundsätzlich über alles diskutieren dürfen. Das heisst nicht, dass es dann umgesetzt wird. Diese Offenheit finde ich wichtig.
Ein Beispiel zeigt das gut: Seit dem 1.1.2020 können wir nicht mehr einen einzigen Verkaufsladen für Pflanzen und Biolebensmittel haben, weil wir jeden Rappen und jede Arbeitsstunde sauber einem Bereich zuordnen müssen, seit der Bioladen, der unser Gemüse verkauft, nicht mehr subventioniert ist. Wir entwickelten also neu einen separaten Blumen- und Pflanzenverkauf. Dafür mussten wir die Teams auseinandernehmen. Auf der einen Seite war da dieser Widerstand, etwas Bestehendes zu zerstören. Aber es ist sehr spannend zu beobachten, wieviel Kreativität in dieser Situation frei wurde. Vieles hat jetzt plötzlich Luft zum Wachsen und sich Entwickeln, die Beteiligten engagierten sich und konnten sich für neue Rollen entscheiden. Wir erleben jetzt all dies, was dank dem Vergehen neu entstehen kann. Und das ist richtig schön. Solche Prozesses anzustossen, liegt mir sehr. Manchmal überfahre ich die Menschen vielleicht, weil ich sehr offen bin für das Neue. Dabei verstehe ich die andern sehr gut: Als Mensch habe ich ja genauso Mühe mit Loslassen. Aber weil ich immer gerne weit in die Zukunft schaue, ahne ich, was daraus entstehen kann. Es ist nicht immer ganz einfach, das rüberzubringen.
Deshalb ist es umso schöner, wenn es dann eintrifft.
Was wünschst du dir für die Schule?
Ich wünsche mir, dass es die Gartenbauschule Hünibach noch 50, 70, 80, 100 Jahre gibt! Damit wir jungen Menschen ein gutes Umfeld für ihre Ausbildung bieten und ihnen einen guten Start in ihre weitere berufliche Entwicklung ermöglichen können. Dazu gehört der biodynamische sorgsame Umgang mit den Pflanzen, der Umwelt und der Natur, den wir hier vermitteln. – Auch wenn ich nicht weiss, was die GSH in 100 Jahren auf welche Weise machen wird …
Marianna Serena, vielen Dank für das interessante Gespräch und alles Gute für die Gartenbauschule Hünibach in diesen Zeiten des Wandels.
Website: https://gartenbauschule-huenibach.ch
Die Gartenbauschule Hünibach – Eine vielfältige Lehrwerkstätte am Thunersee from Gartenbauschule Hünibach on Vimeo.