Berner Zeitung, 19.11.2020 | Marina Bolzli

Claudia Schneider aus Tägertschi füttert ihre Hühner nur mit hofeigenem Futter. Die Mischung hat sie selbst kreiert, denn Vorbilder gibt es bisher nicht.

Viele der weissen Rassehühner rennen flatternd davon, ein paar eilen aber doch herbei, als Claudia Schneider mit einem Eimer Weizenkörner auf die Hühnerweide kommt. Zögernd beginnen sie zu picken. Es sind Junghähne und Junghennen, dreieinhalb Monate alt, die Hähne entwickeln langsam einen Kamm. Sehr hungrig sind sie nicht, sie wurden ja auch eben erst gefüttert. Claudia Schneider hat die Weizenkörner nur der Journalistin zuliebe mitgenommen. Der Weizen ist auf dem Demeter-Hof in Tägertschi gewachsen, den Schneider zusammen mit ihrem Partner Bänz Glauser betreibt. Das ist an sich nichts Besonderes. Doch Claudia Schneider füttert ihren Hühnern nicht nur die eigenen Weizenkörner, sondern stellt das ganze Futter selbst her. Und ist damit schweizweit eine Pionierin.

Hühner sind Allesfresser

Hühner sind Allesfresser. Früher hielt man sie im Hinterhof und fütterte sie mit Resten, Schlachtund Rüstabfällen. So wurde alles Essen gebraucht, und gleichzeitig versorgten sie die Leute mit Eiern. Heute sind Hühner Futterkonkurrentinnen der Menschen. Sie erhalten mit Mineralien und Vitaminen versetztes Futter, bei dem das Vitamin C beispielsweise aus China stammt. Und zwar sowohl bei herkömmlichem wie auch bei biologischem Futter.

Das weiss Claudia Schneider, weil sie selbst beim Fibl, dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau, als Futtermittelbeauftragte angestellt ist.

Pflanzen- und Tierprodukte

Claudia Schneider begann zu tüfteln. Auch weil sie vom Verein Soliterre dazu ermuntert wurde. Soliterre ist ein Vertragslandwirtschaftsprojekt aus der Region Bern, bei dem sich Produzenten und Konsumentinnen zusammengeschlossen haben. Die Konsumenten garantieren den Produzentinnen, dass sie ihnen die Ware abnehmen, und wissen im Gegenzug, woher ihre Produkte kommen und wie sie hergestellt wurden. «Bei Soliterre stammen die Waren wirklich vom Hof», sagt Claudia Schneider. Zum grössten Teil handelt es sich dabei allerdings um Gemüse. «Aber wie geht das bei tierischen Produkten, bei denen das Futter irgendwoher kommt?», fragt sie. Claudia Schneider läuft nun mit schnellen Schritten in den Kuhstall. Dort steht die Molke. Die holt sie in der Molkerei, wenn sie die Milch bringt. Molke ist ein Nebenprodukt der Milch, das bei der Käse- und der Quarkherstellung entsteht. Oft wird sie an Schweine verfüttert. «Molke hat Eiweiss, Mineralien und B-Vitamine», sagt die studierte Agrarökologin. Alle sind wichtig, damit die Hühner genug Nährstoffe und Kraft haben.

Die eigene Futtermischung

Sie nimmt eine grosse Schaufel zur Hand und leert bräunlichgrüne Würfel in einen Eimer. Es sind Maiswürfel, die sie in der zwei Kilometer entfernten Grastrocknung herstellen lässt. Die Maiswürfel kommen auch als Kuhfutter zum Einsatz.

«Und hier sind die Graswürfel», sagt sie und mischt ähnlich aussehende Presswürfel in den Eimer. Die Graswürfel enthalten viel Luzerne, weil diese Pflanzenart proteinreich ist. «Wir schneiden das Gras erst spät im Jahr, dann enthält es noch mehr Protein», erzählt sie. Extra für die Hühner. Protein brauchen sie, um Eier zu legen. Nun mischt sie noch eine Schaufel Weizenkörner in den Eimer und übergiesst alles mit Molke. Fertig ist das Futter.

«Bei Soliterre stammen die Waren wirklich vom Hof. Aber wie geht das bei tierischen Produkten, bei denen das Futter irgendwoher kommt?»

Claudia Schneider Agrarökologin mit Demeter-Hof Tägertschi

Oder doch nicht ganz. Den Eimer lässt sie ein paar Stunden stehen. Ein Arbeitskollege riet ihr dazu. «Du musst die Würfel einweichen, sonst fressen sie das Futter nicht», habe er gesagt. Und trotzdem: «Sie picken sich schon das Beste raus», sagt Schneider. Graswürfel mögen sie am wenigsten gern.

Das hofeigene Futter herzustellen, ist aufwendig. Es ist aber auch billiger als gekauftes Futter. Bereits interessieren sich einige andere Hühnerzüchter für Claudia Schneiders Methode. Und trotzdem gibt sich die 44-Jährige selbstkritisch: «Das Füttern könnte schon noch verbessert werden», sagt sie, «es bleibt zum Beispiel zu viel übrig. Ausserdem ist es auf grossen Höfen wohl schwierig umzusetzen.» Leider gebe es auch keine Vorbilder oder Studien, wie sich das Verfüttern von hofeigenem Futter auf die Eierleistung niederschlage.

Für Fleisch und Eier geeignet

Zurück auf der Hühnerweide. Zweimal am Tag füllt Claudia Schneider ihren Hühnern die Futtertröge neu. Tatsächlich, die Hühner sehen stark und kräftig aus. «Das liegt an der Rasse», erklärt sie. Es sind Bresse-Hühner, eine französische Hühnerrasse, die sowohl für Fleisch wie auch für Eier geeignet ist. Auffällig sind die bläulich gefärbten starken Beine. 160 Tiere hat sie als Eintagsküken bekommen. Etwa 80 sind Hähne, sie werden in ein paar Wochen geschlachtet. Vier Monate haben sie dann gelebt, herkömmliche Poulets werden nach einem Monat geschlachtet.

Es wird das zweite Mal sein, dass die Bresse-Hähne vom Hof in Tägertschi geschlachtet werden. Letztes Jahr war die Premiere. «Klar, es ist traurig. Aber wer Eier essen will, sollte auch bedenken, dass es dafür einen Hahn braucht. Und hier hatte er wenigstens ein gutes Leben», sagt Claudia Schneider. Sie sagt das, weil männliche Eintagsküken normalerweise getötet werden.

Wie wenn er das bestätigen möchte, nähert sich ein Hahn der Journalistin und streckt vorwitzig den Schnabel vor. Doch in der Hand hält sie nur den Kugelschreiber.