Auf Gut Rheinau, dem Partnerbetrieb der Stiftung Fintan, leben auf einer Fläche von 140 Hektar Land Tier und Mensch in einer natürlichen Harmonie. Die Kühe werden genutzt, man produziert auch Fleisch und Milch. Trotzdem werden die natürlichen Rechte der Tiere anerkannt und wird auf ihre physischen und sozialen Bedürfnisse eingegangen.
Barbara Kerkmeer von der Stiftung ProTier, die sich aktiv für den bewussten Tierschutz und die artgerechte Tierhaltung einsetzt, im Gespräch mit Martin Ott, dem Landwirt, Buchautor und Co-Schulleiter der Demeter-Ausbildung.
„Grundsätzlich erachteten wir es als Widerspruch in sich, ein fühlendes Wesen zu nutzen und ihm gleichzeitig keinen Schaden zuzufügen. Die Bilder der sogenannten Massentierhaltung mit reihenweise angebundenen Kühen, Kälbern ohne Mütter in Iglus, dunklen, engen Ställen voller neugieriger Schweine bestätigten diese Sichtweise. Das Gespräch mit Martin Ott hat aber gezeigt, dass durchaus Hoffnung besteht …“, so die Autorin.
Mensch, Tier, Natur und alle Elemente müssen als Einheit geachtet werden
Das Zusammenwirken von Mensch, Tier und Natur gelingt nur dann, wenn alle Elemente in Harmonie sind, davon ist Martin Ott überzeugt, diese Überzeugung lebt und unterrichtet er. Ott ist kein Veganer, er isst Fleisch, trinkt Milch und findet das auch richtig. «Weisst du, wie lange sich der Boden in Rheinau erholen muss, wenn ein Jahr lang Salat angepflanzt wurde?», fragt er uns herausfordernd. «Sieben Jahre», antwortet er gleich selbst, «sieben Jahre, erst dann darfst du in Rücksicht auf die Bodenfruchtbarkeit wieder Salat anpflanzen! Und was wächst in der Zwischenzeit? Getreide, Kartoffeln und, das ist ganz wichtig, Kleegras – und das essen auch die Veganer nicht!», lacht er vor sich hin.
Mit einer grossen Geste holt er aus und erklärt, dass der Boden in dieser Übergangszeit seiner Regenerationszeit nur dann als Nahrungslieferant für uns Menschen genutzt werden kann, wenn Kühe darauf grasen. Deren Milch soll getrunken und das Fleisch der Rinder gegessen werden. «Rinderartige Wiederkäuer», sagt er, «sind die einzigen Tiere, die auf dem gleichen Fleck Erde leben, essen und, Entschuldigung für den Ausdruck, scheissen! Das heisst, sie nähren den Boden, von dem sie fressen, gleich selber.» Dies sei einmalig, alle anderen Tierarten müssten immer wieder zu neuen Futterstellen ziehen, Wiederkäuer können auch bleiben, und dank ihnen konnte der Mensch sesshaft werden.
Begründet sich die Existenz der Tiere im Nutzen für die Menschen?
Tiere leben nicht nur, um dem Menschen zu nützen, aber auch – davon ist Ott überzeugt. Ihre Existenz ist auch nicht nur im Nutzen für die Raubtiere begründet, aber eben auch. Ein Rind in freier Wildbahn wird vielleicht irgendwann von einem Raubtier gerissen und dient ihm als Nahrung. In der heutigen Zeit übernimmt der Mensch die Rolle des Wolfs, des Pumas. Sogenannte Nutztiere sollen ein würdevolles, möglichst freies und ihren Bedürfnissen entsprechendes Leben verbringen, und irgendwann erlaubt sich der Mensch, dieses stressfrei zu beenden, damit das Tier als Nahrung dienen kann. Dieser natürliche Kreislauf befinde sich in Harmonie. Der Mensch ist nicht per se ein «Schädling», aber er muss sein Denken und Handeln in den grossen Zusammenhang stellen, insbesondere, weil er auch an der Spitze der Nahrungspyramide steht.
Vor unserem inneren Auge ziehen die genannten Bilder aus der Massentierhaltung vorüber: einsame Kälber in kalten Iglus, angstvolle Schreie von gestressten Rindern im Schlachthof, ausgemergelte «Milch»kühe, die sich kaum mehr auf den Beinen halten können. Martin Ott bemerkt unsere Zweifel und führt weiter aus, dass ihm klar sei, dass die Menge geschlachteter Tiere in der heutigen Zeit und die Menge vermarkteter Milch mit der Realität der Natur in keiner Resonanz steht. Erst wenn Nahrungsmittel ihren natürlichen Wert, auch im monetären Sinn, zurückerhalten, könne wieder im Einklang mit der Natur produziert werden. Weniger sei im Fall der tierischen Lebensmittel auf jeden Fall mehr.
Das harmonische Miteinander von Tier und Mensch hat seinen Preis
Damit Kühe ihren natürlichen Bedürfnissen entsprechend leben können, gehören sie in eine gut funktionierende Herde. Kühe haben Hörner, und das soll auch so bleiben, davon ist Ott überzeugt. Die «Fressgitter» im Laufstall von Gut Rheinau sind so ausgelegt, dass die Kühe ihre Hörner darin nicht verklemmen. Der Stall wurde den Tieren angepasst, nicht umgekehrt, wie dies leider oft der Fall ist. Ausserdem können sich die Tiere im luftigen, grosszügigen Stall immer frei bewegen. Geruht wird auf Liegewiesen, nicht in Boxen, damit Freundinnen zusammen liegen und sich damit Sicherheit vermitteln können.
Trotz Milchproduktion werden die Kälber nicht gleich nach der Geburt von ihren Müttern getrennt, sondern wachsen in einer Mischung aus Mutter- und Ammenkuhhaltung auf. Diese Praxis kommt der seelischen und körperlichen Gesundheit der Tiere und damit auch dem Landwirt zugute. Geschlachtet wird auf dem Hof. Respektvoll, achtsam und ohne Stress – dies sei gut für die Tiere, den Landwirt, den Metzger und letztlich auch für die Konsumenten der Fleischprodukte.
Die Zeit verging im Gespräch mit Martin Ott wie im Flug, irgendwann war es Zeit, zu gehen. Vom tiefen Verständnis dieses Mannes für Tier, Mensch und Natur sind wir sehr beeindruckt.
«Mögen in Zukunft viele Menschen
im Einklang mit der Natur leben und aus dem Boden nicht mehr herausholen, als dieser ohne Schaden hergibt. Tiere in würdigem Rahmen halten. Und überall die Kreisläufe und Sinnzusammenhänge beachten und erforschen, in die uns die Natur und die Menschlichkeit führen.» (Ökologischer Entwurf Stiftung Fintan, www.fintan.ch)