Nachruf Gretel Koloska-Oswald 01.02.1931 – 14.12.2024

Mit tiefer Trauer geben wir bekannt, dass Gretel Koloska am 14. Dezember 2024 von uns gegangen ist. Sie wird in unseren Herzen unvergessen bleiben.

Im Sommer 1987 hat Gretel den nachfolgenden Artikel in der Zeitschrift «Beiträge» geschrieben.

«Prägende Erlebnisse aus meinem Leben»

Gleich mit der Geburt durften mein Bruder und ich als Zwillinge Hänsel und Gretel uns ins Nest unserer zukünftigen Aufgabe, der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise auf den elterlichen Hof, setzen. Zwei Jahren später gesellten sich Rosmarie 1933 und danach Elisabeth 1934, meine Schwestern dazu.

Erste Erinnerungen: auf den Stubentisch lag oft der Dornacher Sternkalender. Ich blätterte als kleines Mädchen gern darin, denn die aufgezeichneten Planetenbahnen faszinierten mich. Mit dem Zeigefinger fuhr ich schwungvoll den Schleifen nach, je komplizierter sie waren, umso schöner für mich. Als ich etwa in die 4 Klasse ging, fielen mir unsere mit Lehm/Kuhmist angestrichene Obstbaumstämme auf, die sich ja dadurch von den Nachbarbäumen unterschieden. Ich empfand es als unsozial, so etwas Besonderes zu machen. In späteren Jahren half ich dann aber gerne mit beim Anstrich. Die Mithilfe auf den Hof war für mich eine Selbstverständlichkeit.

Jedes Jahr in den Heuferien mussten wir Kinder bei Regenwetter die Kartoffeln abkeimen. Wir sassen dann im Keller, wie in der Unterwelt, und inspiriert zum Singen, brachten wir bis zu 40 Lieder dar, die aus voller Kehle erklangen. Weniger angenehm hingegen war das Runkeln jäten, denn im heissen Juli brannte einem das Gesicht von Sonne und Staub. Beim Garben weglegen, wenn der Roggen gemäht wurde, übten wir unsere Schweizer Lieder und den Sprechchor: Wir sind die alte Schwyzer gsy?

Alles für die 1. Augustfeier beim 1. Augustfeuer. Ich war ein inbrünstiges Patrioten Mädchen.

Bild: Gretel Koloska

In den ersten Schuljahren, als Träumerin, liebte ich Geschichten, Schönschreiben, Zeichen, Turnen und besonders die Singstunden sehnte ich förmlich herbei, Grammatik und Rechnen hingegen brachten mich zum Stöhnen. Später faszinierten mich dann alle Fächer, auch Chemie und Physik.

Da meine Eltern jedes Jahr im Februar, frisch befeuert von der landwirtschaftlichen Tagung heimkamen, musste doch etwas Gutes darin sein. Einmal brachten sie uns eine schöne Frühlingskarte vom Goetheanum mit, und ich erinnere mich, wie stark der Bau auf mich wirkte. Viele Jahre hing das Bild an der Stubenwand und ich liebte es.

Einmal im Jahr durften wir in die Ferien. So war auch Dornach einmal mein Ferienziel, allein natürlich. Wie bekam ich Herzklopfen, als ich den grossmächtigen Goetheanum Bau über den Dornacher Häusern entdeckte! In der Schreinerei erlebte ich dann Eurhythmie, Sprachgestaltung und schöne Musik. Ich war im siebten Himmel und fühlte mich geborgen.

Den Entschluss Bäuerin zu werden fasste ich in Davos als Privathaushaltlehrtochter, wo ich gesundheitshalber weilte. Doch die Erinnerung an die herrlichen Alpweiden, an den Sensengesang frühmorgens vor unserm Haus und der Heu Duft, erweckten in mir schon bald das Heimweh zur bäuerlichen Arbeit.

Ein paar Jahre später, im Winter 1952, wurde in Stuttgart erstmals nach dem zweiten Weltkrieg wieder ein Einführungskurs in die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise gegeben, wo mein Bruder und ich uns das erste Mal geistig in diese Aufgabe vertieften. Richtig verstanden habe ich bestimmt nicht viel und doch erlebte ich, dass das wahr ist, wovon gesprochen wurde. Im selben Winter studierte ich allein die Theosophie von Rudolf Steiner in einem eiskalten Schlafzimmerchen bei einer Frau, wo ich tagsüber Vorhänge webte. Hände und Nase waren steif vor Kälte, und der Kopf schmerzte vor Anstrengung. Ich vergas das Gelesene wieder und wieder oder verstand es nicht. So musste ich die Abschnitte einige Male wiederholen. Es war zum Verzweifeln. Und trotzdem erfüllte mich diese Lesearbeit.

Zu besonderen Erlebnissen und wertvollen Erfahrungen wurden mir meine Auslandpraktika in Frankreich, der Lüneburger Heide und in Kärnten. Ich verliebte mich in jedes Land und seine Menschen – unersättlich, überschwänglich in allen neuen Erlebnissen und auch in der Arbeit. Überall waren Begegnungen, von denen ich Wichtiges lernte.

An einen Sommertag, zuhause beim Nachrechen auf dem Getreide Acker, stundenlang in schwüler Hitze, entschloss ich mich zur Prüfung für das Bäuerinnen Diplom. Werde ich das wohl schaffen? War das ein Ringen um diesen Entschluss! Immer wieder im Leben brauchte ich Mut, und immer wurde ich von furchtbarem Lampenfieber geplagt: Als ich das erste Mal auf der Geige vorspielen sollte, da kam der Bogen so zum Tanzen auf den Saiten das wohl kaum mehr Töne zu hören waren. Mit feurigem Kopf spielte ich das Stück zu Ende – Lebenserfahrung zur Selbstüberwindung, um im nächsten Jahr wieder vorzuspielen.

Mein Bruder und ich lernten unseren Lebenspartner zur selben Zeit auf unserem Hof kennen, was dann zu einer grossen Doppelhochzeit führte. Bald tat sich die Frage auf, wie übernehmen wir den Hof von unseren Eltern, und nach 7jähriger Zusammenarbeit suchten wir nach einer neuen Form der Hofübergabe. Vieles zogen wir in Betracht und gründeten schliesslich einen Verein, in dem als aktiv Mitglieder die Bewirtschafter des Hofes zusammengeschlossen sind. Der Verein kaufte den Hof auf Rentenbasis von unseren Eltern und wir vier Geschwister verzichteten auf das Vorkaufsrecht.

So wurde der Oswaldhof weiter bewirtschaftet mit zwei Familien, meinem Mann Helmut und mir mit 6 Kindern, Hans (Zwillingsbruder) und seine Frau Annelis mit 3 Kindern, meine Eltern im Hintergrund und vielen über die Jahre wechselnden Mitarbeiter/Innen Lernenden Praktikanten und Aussteigern.

Ein schweres, aber überreiches, inneres Erlebnis war für mich das Herantreten an die Todesschwelle mit einem meiner Kinder: Dieses Kleinwerden vor dem Grossen, wo der Himmel eine Gewissheit wird – mir verschwand jegliche Angst.

Feste feiern, als Höhepunkte im Leben, durfte ich schon als Kind in schönster Weise miterleben. Meine Mutter erachtete dies als genauso wichtig wie die Arbeit. Nebst heiligen Jahresfesten feierten wir auch Heuernte Sichlete und Fasnacht mit Singen, Tanzen und gutem Schmaus. Dass das Feste feiern noch andere Wichtigkeiten in sich birgt, durfte ich zu Pfingsten 1957 an der 33-JahrFeier des Koberwitzer Pfingstimpulses von 1924, dem «Landwirtschaftlichem Kurs», mit Erhard Bartsch auf dem Wurzerhof erfahren. Mit feurigem Willen und tiefen Ernstes lud er Freunde und vor allem junge Bauern und Bäuerinnen der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise zu dieser Feier ein. Auch ihm war es ein Herzens anliegen Feste zu feiern, Höhepunkte zu erleben und Marksteine im Leben zu setzen. So bildeten auch künstlerische Darbietungen wie Eurhythmie, Gesang und Musik den Rahmen für seine wichtigen Ansprachen, die er uns hielt. Tief in Erinnerung bleibt mir, wie er sprach von der Wiederkehr des 33järigen Rhythmus als geschichtliche Folge. Aus deutscher Geschichte erzählte er von Ereignissen, die ihren Impuls vor 33 Jahren durch bestimmte Persönlichkeiten erhalten hatten. Ihm war es nun wichtig, dass auch wir im positiven Sinn geschichtsbildend wirken können, Das Wirken Jesus Christus auf Erden schloss sich ab mit seinem 33. Lebensjahr durch das Mysterium von Golgatha und offenbarte sich neu mit dem Geistimpuls an die Jünger durch das Pfingstereignis. In diesem Pfingstsinn erzählte Erhard Bartsch uns weiter vom Landwirtschaftlichen Kurs» in Koberwitz, den er als Wächter miterlebte. Nur Teilstücke konnte er von den Vorträgen hören, meist nur aussen an der Türe, aber umso brennender waren für ihn diese Themen. Jetzt, nach 33 Jahren fühlte er sich ganz stark aufgerufen, diesen Koberwitzer Impuls neu zu ergreifen, um ihn an uns weiterzugeben, wie brennende Flammen, die nie erlöschen wollen. Sieben junge Menschen aus der Schweiz waren wir, die diesen erneuerten Impuls aufnahmen, um so bewusster an dieser Aufgabe zu arbeiten.

Gretel Koloska, Sommer 1987, Oswaldhof, Klarsreuti

 

Vieles hat Gretel mit aufgebaut und mitgetragen so wie schon der erwähnte Verein Oswaldhof, der auch das Ziel hat die Landwirtschaft aus den Erbstrom herauszunehmen.

Die Internationale Bäuerinnen Tagung 1974 hat zum ersten Mal auf dem Oswaldhof stattgefunden und hat letztes Jahr in Norddeutschland ihr 50-jähriges Bestehen gefeiert. Viele Lernende und Auszubildende hat Gretel eingeführt in die Hauswirtschaft, in die gärtnerische Arbeit im Hausgarten, der zur Selbstversorgung diente, die Milchverarbeitung in der Butter und Magerquark hergestellt und bis nach Dornach verkauft wurden. Gretel bleibt ihnen, wie viele berichten, als vorbildliche Persönlichkeit in Erinnerung: Wie sie die Anthroposophie lebte, ihre Begeisterung für die biodynamische Arbeit, die sie so gut vermitteln konnte, die bereichernden Gespräche über Anthroposophie und Lebensfragen. Sie war jahrelang als Aktuarin im Produzenten Verein für biologisch-dynamische Landwirtschaft Schweiz tätig.

Die Anthroposophische Arbeit im Zweig Frauenfeld und die Klassenstunden waren ihre Herzensangelegenheit. Die Vorträge zu anthroposophischen Themen, welche auf dem Hof stattfanden, waren immer umrahmt mit Musik. Die soziale Arbeit im Dorf mit Sommerspielen, in denen die Kinder des Dorfes mitspielten und die Lismer-Abende (Strick-Abende) mit den Frauen vom Dorf, welche von Herbst bis zum Frühjahr stattfanden in denen fleissig gestrickt, gehäkelt und einer Geschichte gelauscht wurde.

Auch bei dem Aufbau der Rudolf-Steiner-Schule Kreuzlingen war sie tatkräftig beteiligt. Verbunden fühlte sie sich auch der Christengemeinschaft Konstanz, sie hat bei den Bazaren in der Christengemeinschaft und später in der Rudolf-Steiner-Schule Kreuzlingen mitgeholfen.

Im Jahr 1994 wurde der Oswaldhof an die nächste Generation übergeben.

Nun hatte sie neue Möglichkeiten und hat das künstlerische Leben für sich gefunden. Sie ging in den Malunterricht, in die Leierstunde zur Laien Eurythmie, zum Kirchenchor im Nachbardorf, in dem sie schon in jungen Jahren mitgesungen hat und ihr anthroposophisches Leben hat sie weitergepflegt und sich intensiv mit den Verstorbenen verbunden. Viel Zeit hat sie mit Enkel hüten verbracht. Die vielen gesundheitlichen Ereignisse hat sie immer mit viel Positivität und Zuversicht gemeistert, hat sich nie beklagt und ist gestärkt daraus hervorgegangen.

Als vor zwei Jahren der Oswaldhof weiter gegeben wurde an eine ausserfamiliäre Familie hat sie dies in ihrem hohen Alter mit grossem Interesse und Freude begleitet. Bis zuletzt hat sie ihre Positivität, ihr sonniges Wesen, ihre Zuversicht und ihr Urvertrauen behalten. Sie war in allem für uns Kinder ein grosses Vorbild.

Regina Lutke Schipholt, Januar 2025, 8225 Siblingen

 

 

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