Interview mit Timon Schwarz von «Natürlich Schwarz – kompromisslos naturnahe Lebensmittel» in Tägerwilen

«Natürlich Schwarz» ist ein vielseitiger 20 ha-Betrieb, seit 121 Jahren in Familienbesitz und mit Weitsicht auf einem Hügelzug gelegen zwischen Kreuzlingen und Tägerwilen. Er bietet Lebensraum für 950 Hochstammbäume, 70 Rinder, 150 Hühner, rund ein Dutzend Menschen und viele weitere Pflanzen und Tiere. Ein breites Spektrum an Produkten wird auf dem Hof verarbeitet und ausschliesslich direkt vermarktet. Junior Timon übernahm im Januar 2020 den Milch-Obstbetrieb von seinem Vater Christian Schwarz. Heute ist «Natürlich Schwarz» ein Obst- und Fleischbetrieb, von dem sechs bis sieben Menschen leben.
Timon Schwarz beantwortet unsere Fragen und erzählt, was diesen Betrieb besonders macht, wo die Herausforderungen liegen und wie die Lösungen aussehen.
Was war deine Motivation, als Nicht-Bauer den Hof deines Vaters zu übernehmen?

Ich bin ein Quereinsteiger. Ursprünglich lernte ich Mechaniker, gefolgt vom Studium und ein paar Berufsjahren als Maschinenbauingenieur, und dann stand ich bei der Pensionierung des Vaters vor der Entscheidung, das Ganze hier zu übernehmen. Mein ältester Bruder, ein Bauer, blieb im Welschland hängen. Es war klar, dass ich diese Chance packen wollte und musste: die Selbständigkeit, dass dir keiner sagen kann, was du darfst und musst, und dann dieser Platz hier! Hier ist meine Heimat, die hätte ich nie aufgeben wollen. Die Übernahme kam für mich ein bisschen früh, ich hätte gern noch länger auf meinem Beruf gearbeitet. Es blieb keine Zeit für eine Lehre, so habe ich mich mit diversen Kursen und beim Mitarbeiten auf dem Betrieb eingearbeitet.
Wie hat sich der Betrieb unter deiner Leitung verändert?
Als ich den Betrieb von meinem Vater übernahm, lief vieles sehr gut. Einiges wollte und musste ich ändern. Zum Beispiel die Vermarktung der Milch. Trotz intensiver Bemühung konnte ich keinen Absatzkanal über Grossabnehmer finden, in dem sie die nötige Wertschätzung erhalten hätte. Ich hätte die Milch nicht unter Demeter verkaufen können. Also entschied ich, damit aufzuhören, ohne aber die gesamte Herde auszutauschen. Ich behielt meine Milchkühe und fing mit Ammenkuhhaltung an. Nun lasse ich meine Kälber zusammen mit denjenigen von Gut Rheinau bei den Ammen säugen. Danach setze ich auf Fleisch und ziehe jene Kälber hier auf, die bei mir im Stall Platz finden, die restlichen gehen als Remonten auf einen weiteren Demeter-Betrieb. Vier Kühe melke ich und vermarkte die Milch und die Produkte, die wir daraus herstellen, direkt.
Welches war für dich die grösste Herausforderung?
Auf einmal die Verantwortung für die Kühe in unserer speziell anspruchsvollen Tierhaltung zu haben, neben all dem anderen! Auch wenn ich eher der «Chüeni» als der «Pflanzi» bin und tagelang bei den Tieren sitzen und ihnen zuhören könnte – die Verantwortung für sie zu tragen, ist eine andere Geschichte. Der Aufwand für Ammenhaltung ist nicht zu unterschätzen. So habe ich jemanden gesucht, der das hauptsächlich übernimmt, und jetzt zum Glück auch gefunden.
Unsere Kühe sind eine extensive Milchkuhrasse. Sie bekommen nur Gras und Heu. Vielleicht geben sie im Vergleich zu Hochleistungskühen viel weniger Milch, aber sie werden alt hier, darum lässt sich ihre Lebensleistung dann wieder sehen. Mit vierzehn Jahren ist bei uns eine Kuh noch jung und vital, während die Hochleistungskühe nach drei Laktationen mit etwa fünf Jahren ausgelaugt sind und geschlachtet werden. Das wissen die meisten Konsument*innen einfach nicht.
Was wird auf eurem Betrieb kultiviert?

Wir haben knapp 1000 Hochstamm-Tafelobstbäume: Birnen, Kirschen, Äpfel, Zwetschgen, Mirabellen, Reineclaudes, Quitten, Baumnüsse, darunter viele alte Sorten, bei den Äpfeln z.B. 25. Zwei Sorten sind nur hier zu finden, einige davon sind bei Pro Specie Rara angemeldet. Auch Knoblauch, Getreide und Nischenprodukte wie Beeren bauen wir an. Von den Aroniabeeren produzieren wir eine rechte Menge, daneben ein bisschen Erdbeeren, Himbeeren, rote und weisse Johannisbeeren, Cassis, Stachelbeeren.
Kräuter und Gemüse machen wir eigentlich nur für den Eigengebrauch, denn dies macht unser Partnerbetrieb Lorenz viel besser. Mit ihm arbeiten wir relativ eng zusammen: Wir machen Landabtausch, er sät und setzt für uns. Als tierloser Betrieb liefert er für unsere Tiere Gras, das er von uns in Form von biodynamischem Hofdünger zurückbekommt. Wir sind ein gemeinsamer Organismus mit geschlossenem Stoffkreislauf, aber ökonomisch sind wir komplett voneinander unabhängig. Das funktioniert sehr gut.
Wie haltet ihrs mit den Schädlingen?
Wir spritzen hier gar nichts. Wir halten Pilze und Schädlinge durch Schnitttechnik, die für gute Durchlüftung sorgt, durch Streuobstwiese und eine enorme Biodiversität in Schach. Der Hof bildet eine etwa 20 ha grosse Ökoinsel: Etwa 45 % der Fläche sind Biodiversitätsförderflächen, Ökowiesen und Q2-Hochstamm-Obstgärten. Das war schon so, lange bevor es diesen Begriff und Subventionen dafür gab. Es gibt genügend Nützlinge, die für Ausgleich sorgen. Dazu der hofeigene Dünger und die Präparate – fertig!
Nach der Abstimmung über synthetische Pestizide tönt das für viele vielleicht unglaublich – man wollte den Leuten ja weismachen, dass es keine Landwirtschaft ohne Pestizide gibt. Ein wichtiger Faktor für die Schadensbegrenzung ist das Meiden von Monokulturen. Wenn sich z.B. eine Kirschessigfliege in einem Baum wohlfühlt, dann kann sie sich nicht einfach auf den nächsten ausdehnen, denn der hat andere Früchte, die nicht gleichzeitig reifen. Auch die Wahl früher Sorten kann Gegensteuer geben. Und vielleicht werden in Zukunft unsere Hühner unter den Bäumen weiden und all die Würmchen und Larven fressen … Nur Spritzen, das käme mir nie in den Sinn!
Aber es ist schon so: Andere lesen neun von zehn Äpfeln schön ab, bei mir ist es manchmal nur einer von zweien. Das kann schon kritisch werden. Deshalb verarbeiten wir selbst. Jene Äpfel, die nicht als Tafelobst verkauft werden können, dörren wir oder kochen sie zu Apfelmus, lagern sie ein und pressen daraus kombiniert mit Beeren ganzjährig frische unpasteurisierte Säfte. Die sind sehr beliebt. Es wird alles verwertet, nichts wird weggeworfen. Wir betreiben auch eine Kundenmosterei.
Gerade jetzt (Unwettertage Ende Juni 2021) werden unsere Kirschen platzen, da kannst du nichts dagegen machen. Die sehen danach nicht mehr schön aus. Dann wird aus ihnen halt ein guter Kirsch! Schöner wäre es gewesen, sie als Tafelkirschen zu verkaufen, aber weggeworfen werden sie auf keinen Fall.
Wie kommt ihr zu den Rezepturen eurer Produkte?

Als ich den Betrieb übernommen habe, hatten wir einen kleinen Anteil Direktvermarktung und ein paar wenige Produkte. Mein Ziel war, aufzuräumen und nur diejenigen zu behalten, die gut liefen. Es kam komplett anders: Mein Vater war frisch pensioniert und hatte plötzlich Zeit. Anstatt abends im Büro zu verschwinden, ging er in die Küche und tüftelte an neuen Produkten. Er hatte laufend Ideen, die mich begeisterten, und da ich eher der Vermarkter bin, organisierte ich Gebinde, Etiketten usw. und kümmerte mich um den Verkauf. Fazit: Im 2020 ist unser Produktekatalog richtiggehend explodiert! Wir haben jetzt etwa 150 eigene Produkte und für die Verarbeitung eine Person angestellt.
War es schwierig, sich in den Demeter-Verarbeitungsrichtlinien zurechtzufinden?
Zu Beginn war es unmöglich, hier einen Überblick zu haben. Dass ich Pascale Buser auf der Demeter Geschäftsstelle die Rezepturen und Etiketten zum Kontrollieren geben durfte und mich auf sie verlassen konnte, hat mir sehr geholfen. Ich habe dabei viel gelernt. Es ist manchmal schwierig, einen Rohstoff in Demeter-Qualität zu finden. Zum Beispiel hatte ich anfangs Probleme, Demeter-Rübenzucker zu finden. Also verzichtete ich auf das Demeter-Logo, denn es ist für mich zwar ein wichtiges Vermarktungstool, aber nicht matchentscheidend. Genial wäre, wenn uns die Geschäftsstelle beim Suchen von Rohstoffen behilflich sein könnte!
Warum setzt du auf Direktvermarktung?

Das Vermarkten liegt mir im Blut. Mein Ziel ist es, die Wertschöpfung ganz auf den Hof zu holen. Das braucht eigenes Engagement – und Top-Produkte. Unser Hoflädeli ist ein Geheimtipp in der Region, das läuft von selbst. Teilweise kommen dank meiner Internetpräsenz neue Läden auf mich zu. Im Bereich Fleisch habe ich jedoch investiert und meinen eigenen Shop auf die Beine gestellt, um direkt auf neue Kundschaft zugehen zu können. Hier bin ich ein Neuling, das verlangt Einsatz. Beim Vermarkten des Fleisches hilft mir die Marke Demeter nicht, gesucht wird regional und bio.
Wird das wachsende Bewusstsein im Bezug Ernährung und Nahrungsmittelqualität für euren Betrieb spürbar?

Die Wertschätzung vollkommen natürlicher Lebensmittel, die aus einer Landwirtschaft stammen, die einen echten Mehrwert schafft, ist noch kaum vorhanden. In unserer Landwirtschaft gehen wir meistens ein paar Schritte weiter, als die Demeter-Richtlinien vorschreiben. Doch darüber reden wir kaum. Für mich steht jedoch Wertschätzung immer über Wertschöpfung. Ich wünsche mir, dass die Hofladenbesucherinnen wissen, was wir hier machen. Dann schätzen sie unsere Produkte. Und ich stelle sie dann gern her oder subventioniere sie nötigenfalls über andere Produkte.
Wo findet man eure Produkte im Handel?
Produkte von Natürlich Schwarz findet man in Tägerwilen in den Hofläden von Natürlich Schwarz und Fritz Lorenz, auf Märkten in Winterthur und St. Gallen, in Zürich in einigen Bioläden und im Alpomat sowie im Bioladen Frauenfeld. Das Fleisch kann direkt im «Natürlich Schwarz»-Shop bestellt werden.
Ist dein Betrieb im Gleichgewicht?

Dahin ist noch ein weiter Weg. Vieles war schon sehr gut, als ich den Betrieb übernahm. Zum Beispiel das Wissen, wie man so viele Hochstammbäume ohne Spritzen gesundhalten kann. Aber damit der Betrieb so ist, wie ich ihn gerne hätte, braucht es noch viel! In der Fleischvermarktung muss einiges geschehen. Danach sind ein Umbau und ein neuer Stall geplant, eine alte Obstanlage muss neu gepflanzt werden … Alles muss sich einpendeln. Ich bin nicht vom Fach und dankbar für die Profis im Betrieb. Von meiner Seite kommen Vermarktung, Arbeitserleichterung sowie Lebensqualität und Soziales, das ist alles im Aufbau. Ziel ist, einen gemeinsamen Platz für alle Mitarbeitenden zu schaffen. Alles, was ich hier erreichen werde, hängt vom Team ab.
Zum Schluss hast du ein paar Wünsche frei …
Für die Zukunft wünsche ich mir mehr Lebensqualität: nicht nur arbeiten, sondern auch leben. Gute Arbeitsbedingungen für meine Mitarbeitenden. Dass ich die Leute finde, die unsere Produkte schätzen. Und dass ich unsere Produkte zu ihnen bringen kann.
Herzlichen Dank für das spannende Gespräch und gute Entwicklungen auf dem Schwarzhof!
Mehr Infos: www.natuerlich-schwarz.ch