Ein Erfahrungsbericht von Karola Schaar, die mit ihrer Familie in Frankfurt lebt und als Sozial- und Tanzpädagogin in der Frühförderstelle am «hof» in Frankfurt-Niederursel arbeitet.

«Zu meinem fünfzigsten Geburtstag wollte ich mir ein besonderes Geschenk machen. Die Demeter-Idee – durch Landwirtschaft der Erde nicht nur etwas zu nehmen, sondern auch etwas zurück zu schenken – kannte ich bisher nur aus der Theorie. Nun wollte ich kennenlernen, was biodynamische Landwirtschaft in der Praxis bedeutet. Ausserdem hatte ich Grossstadt-Kind eine tiefe Sehnsucht nach der „heilen Welt“ der Landwirtschaft, dem Leben in der Natur mit den Tieren und der Herstellung von landwirtschaftlichen Produkten.

Als ich Anfang Mai 2018 auf dem Hof Maiezyt im Berner Oberland eintraf, begrüssten mich als Erstes die weit ausgedehnten Weiden und Blumenwiesen, die Berge – zum Teil noch schneebedeckt –, ein traditionelles, behagliches Schweizer Bauernhaus, tannenbewaldete Schluchten und warmherzige, offene Menschen, welche mich sogleich in die Tätigkeiten integrierten. Schnell war ich ein Teil vom Ganzen, ganz so, als hätte ich nie etwas anderes gemacht.

Mit der Bäuerin Ulla und dem Bauern Robert und allen Mitarbeitenden sind mir tüchtige, weltoffene Menschen mit ihrem ausgeprägten Idealismus ans Herz gewachsen. Ob das Leben in Bescheidenheit, ohne grossen Konsum, in täglicher schwerster körperlicher Arbeit zu Zufriedenheit und Frohmut führt? Die war zumindest meine persönlich Erfahrung …

Herausforderungen auf dem Hof Maiezyt

An täglichen Herausforderungen fehlt es auf Hof Maiezyt nicht. Die Arbeitsorganisation, die finanzielle Not, die anspruchsvollen sozialen Prozesse, die Aufgaben mit Jugendgruppen und Praktikanten wie mir, die Tücken der technischen Geräte usw. müssen bewältigt werden. Mich beeindruckte die enorme Flexibilität, die von den Verantwortlichen gefordert ist.

Neben dem Bauer-Sein empfand ich es als grosse Aufgabe für die Leiter des Hofes, sich ständig auf neue Menschen einzustellen. Nicht nur die Gäste der Ferienwohnungen und -Zimmer, auch Schulgruppen, Mitarbeitende wie ich, die auf dem Hof stranden und für eine kurze oder längere Zeit eingearbeitet und integriert werden müssen, die Menschen, die sozialtherapeutisch betreut werden, und die vielen Gäste zu jeder Mahlzeit – welch eine Herausforderung!

Tier- und Menschbegegnung

Ich hatte vor Jahren das Buch „Marie des Brebis: Der reiche Klang des einfachen Lebens“ von Christian Signol gelesen. Nun kam ich selbst in eine unmittelbare Begegnung mit den Schafen. Dieses Erlebnis war für mich sehr tiefgreifend, und erst jetzt tat sich für mich ein tiefes Verständnis auf für all die Geschichten, die Marie des Brebis über ihr Leben mit den Schafen geschildert hat. Diese Erfahrung begleitet mich bis heute. Leider wechselten die Schafe nach einigen Tagen ihren Standort, so dass sie nicht mehr auf unserem Hof waren.

Meine wichtigste Lebensschule dort war der Rhythmus: Jeden Morgen um halb sechs zuerst in den Kuh-Stall, und dann um acht, noch vor dem Frühstück, sich mit der Hof-Gemeinschaft treffen und gemeinsam eine Textstelle von Rudolf Steiner lesen und sich dazu austauschen.

„Um halb sechs in den Kuhstall gehen“ bedeutet: Misten zwischen den Kühen – einer Gemeinschaft, die liebevoll und interessiert meine Arbeit beobachtete und begleitete –, die warme Ausstrahlung der Tiere, der typische Stallgeruch und die harte körperliche Arbeit im Halbdunkel schweigend, teilweise ganz alleine, teilweise mit Martha oder Nicole, die gleichzeitig mit dem Melken der Kühe beschäftig waren.
„Gemeinsames Lesen“ bedeutet: in lockerer Fröhlichkeit sich mit sehr unterschiedlichen Menschen auf gemeinsame Erkenntnissuche machen und dabei die unterschiedlichen Blickweisen auf die Welt kennenlernen. Dieses tägliche Ritual ist mir fast heilig geworden; es hat für mich essentiell zur Gemeinschaftsbildung beigetragen.

Pflanzenbegegnung

Fast täglich ging ich vormittags – nach dem Aufräumen und Reinigen der Küche – Kräuter sammeln für die Mahlzeiten. Im Frühjahr verwandelten sich die Wiesen über den Zeitraum von vier Wochen auf eindrückliche Weise. Das Beobachten und Miterleben vom Werden und Vergehen in der Natur stellt einen weiteren Schatz meines Aufenthaltes auf Maiezyt dar. Die Schönheit der Wiese und ihrer vielfältigen Reiche – der Insektenwelt, der Blütenpracht und der Duftwelt – war überwältigend. Für die innere Ruhe und Ausgeglichenheit, die ich auf den Wiesen erlebt habe, finde ich keine Worte.

Was ist Demeter für mich heute?

Demeter ist für mich etwas Greifbares, Lebendiges und Anschauliches geworden, die biologisch-dynamische Landwirtschaft eine tief berührende Erfahrung. Ich fühle mich noch stärker als bisher mit dem Demeter-Impuls verbunden: die Natur zu pflegen, dankbar und achtsam mit der Erde, den Pflanzen, den Tieren und auch mit den Mitmenschen umzugehen. Für mich war der Hof Maiezyt der perfekte und wunderbare Lernort der Lebensschule.

Dank

Liebe Maiezytler – Ulla, Robert, Nicole, Verena, Carl, Martha, Markus, Karin, Simone, Robert und Uwe – ich möchte mich ganz herzlich bei euch bedanken. Ich bin erfüllt von unserer Begegnung, berührt von eurem Idealismus und eurer Liebe zur Welt. Danke, dass ich für vier Wochen ein Teil von euch sein durfte und Einblick nehmen konnte in Euren Arbeitsalltag. Ich freue mich schon auf ein Wiedersehen!»

Karola Schaar