Ein Demeter-Hof in Beggingen? Manche hielten das für unmöglich. Eric und Lukas Vogelsanger dagegen fanden: Wenn schon bauern, dann so.

Sharon Saameli | Schaffhauser AZ, 25. November 2021

Nachdem man von der Stadt aus über den Randen gefahren ist und das Auto in Beggingen, fast an der Grenze zu Deutschland, abgestellt hat, steht man mitten in der Idylle. Auf den Wiesen rund um den Landenhof, die bis zum Wald reichen, grast in aller Gemächlichkeit eine Herde Damhirsche. Der Platzhirsch durchbricht röhrend die Stille, und zwischen den weissen Tupfen auf dem Fell der Hirschkühe, das allmählich in die Grautöne des Winters wechselt, treibt die Fantasie Blüten.

Logisch: Kuscheln ist nicht. Misstrauisch kauend starren uns die Tiere an und springen davon, sobald wir uns nähern. Und dann fällt mir wieder ein, dass wir gar nicht wegen der anmutigen Wesen hierher gekommen sind, sondern wegen ihrer Besitzer, den Brüdern Lukas und Eric Vogelsanger. Wir finden sie im Agronomieteil des Landenhofs, genauer: in der Metzgerei. Ja, früher oder später landet das Wild, das hier so unberührt aufwächst, in der Metzg und das Fleisch vakuumverpackt oder getrocknet im Hofladen. Aus Bambi wird: Keule, Kamm, Rücken, Filet. Und daraus: Ragout, Steak, Braten, Hack. Was vom Leben übrigbleibt.

Widersprüchlich finden die beiden Männer das nicht. «Wir haben eine nachhaltige Tierhaltung, dahinter kann ich stehen», holt Lukas aus, als man ihn darauf anspricht, «so werden vielleicht an einem anderen Ort weniger Tiere schlecht gehalten.» Und «zur Schlachtbank führen» könne man Damwild sowieso nicht, zu ausgeprägt ist der Fluchtinstinkt, zu gross wäre die kollektive Panik, würden sie irgendwo hineingedrängt. Deshalb sterben die Damhirsche da, wo sie aus freien Stücken hingehen und sich wohlfühlen: auf der Weide am Waldrand, wo sie von einem Hochsitz aus erlegt werden. «Wenn das Dritte fällt, beginnen die anderen langsam zu denken: ‹ou, was isch da los›», erzählt Lukas. Da müsse man schauen, dass es schnell geht, am besten innerhalb einer Viertelstunde. Denn null Stress bedeutet nicht nur ein sanftes Lebensende, sondern auch das beste Fleisch.

Buure als Privileg

Lukas und Eric Vogelsanger sind zwar zusammen mit Schwester Simona auf dem Landenhof aufgewachsen – und haben dort «das schönste Leben gehabt», wie Eric betont. Aber den Landenhof übernommen haben die Brüder erst im vergangenen April. Ursprünglich wollte keiner der beiden die Verantwortung für den wachsenden Betrieb alleine stemmen, sodass sich die Eltern bereits über einen Hofverkauf Gedanken machten. Lukas zog es ins Soziale, er machte die Ausbildung zum Fachmann Gesundheit und wollte sich dann in Richtung Sozialpädagogik weiterentwickeln. «Mit diesem Einblick in die Arbeitswelt merkte ich aber, welches Privileg das Buure ist: Du kannst dich verwirklichen, bist dein eigener Chef und kannst einen grossen Beitrag zur Erhaltung und Förderung der Natur leisten.» Die Lehre zum Landwirt machte er dann direkt bei seinem Vater auf dem Landenhof. Erics Umweg war ideell etwas kürzer: Er besuchte die Kanti und merkte ziemlich bald, dass es ihn zum Buure zurückzieht. «Es ist eine sehr grundlegende Arbeit», erklärt er, «man arbeitet mit Tieren, mit Pflanzen, Holz, Metall, Maschinen. Und man produziert Lebensmittel – das betrifft letztlich jeden Menschen, weltweit.» Nach dem Studium der Agrarwissenschaften arbeitete er für ein Jahr beim Regionalen Naturpark Schaffhausen, bevor er den Landenhof offiziell am 1. April dieses Jahr mit Bruder Lukas übernahm.

Dann stellten die beiden auch gleich die gesamte Produktion um: Aus dem konventionellen Bauernhof wird ein nachhaltiger Betrieb nach Demeter-Standards. Strengere Richtlinien gibt es in der Bio-Branche hierzulande nicht. Was ändert sich dadurch? Im Gespräch mit den Brüdern merkt man: so ziemlich alles.

Am wenigsten noch für die Hirsche. Die genügsamen Tiere bedienen sich vor allem am frischen Gras auf der Weide, Winterergänzungen sind – direkt auf dem Hof produziert – nun ebenfalls in Demeterqualität. So oder so ist das Damwild aber nur das zweite Standbein der Vogelsangers (und, zugegeben, das perfekte Aushängeschild). Die Hauptarbeit findet auf dem Acker statt: Eric und Lukas Vogelsanger säen, ernten und vertreiben Heu, Weizen, Sonnenblumen, Mais, auch Dinkel. «Uns hat die konventionelle Methode widerstrebt, für möglichst viel Ertrag die Pflanze quasi chemisch durchzuboxen», erklärt Eric. Dies lauge den Boden aus und sei nicht nachhaltig – wer darauf Rücksicht nehmen will, könne dies hierzulande fast nur mit den Labeln Bio oder Demeter und entsprechend höheren Produktpreisen sowie Subventionen erreichen.

Es geht ums Ganze

In der Demeter-Philosophie, auch als biodynamische Landwirtschaft bezeichnet, geht es ums Ganze. Ein Demeter-Hof Elwird als Organismus betrachtet und Erde, Pflanze, Tier und Mensch als Teile eines Kreislaufs, die sich gegenseitig tragen. Das erfordert ein Umdenken gegenüber der konventionellen Landwirtschaft, gerade in der Arbeit mit der Erde, die als lebendiges Gefüge gesehen wird: «Wir betrachten den Boden nicht mehr als Substrat, sondern arbeiten mit ihm zusammen», erklärt Lukas, als wir vor einem riesigen Heuballenturm stehen. «Du fütterst den Boden, baust einen gesunden Humus auf, und der Boden füttert die Pflanze.» Wichtig seien dafür auch vielfältige Fruchtfolgen, denn: «Eigentlich läuft es gegen die Natur, immer dasselbe anzubauen. Du erschaffst gewissermassen ein Extrem. Natur bedeutet aber Vielfalt.»

Offene Türen für mehr Bio

Als Eric und Lukas Vogelsanger sich umhörten, wurde ihnen allerdings oft gesagt: Ein Bio- oder gar Demeterhof in Beggingen, das sei unmöglich. Der Grund: Die Region Schleitheim und Beggingen hat einen schweren, lehmigen Boden. Das erschwert zum einen die Bearbeitung und bietet zum anderen ideale Bedingungen für den Ackerfuchsschwanz. Dem in der Region verbreiteten Unkraut wird man nur mit synthetischen Spritzmitteln Herr – diese laufen den Bio- und Demeterstandards aber zuwider. Hier ist nur mechanische Unkrautbekämpfung erlaubt. «Es stellte sich aber heraus, dass das Problem Fuchsschwanz kleiner war als erwartet», sagt Eric und erklärt sich dies mit dem Systemwechsel auf dem Acker. «Das Unkraut hat sich an die jahrelangen konventionellen Zyklen gewöhnt. Dadurch, dass wir nach neuen Methoden arbeiten, hat es andere Bedingungen. Der Druck ging deutlich zurück.»

Dennoch: Allein, da sind sich die Brüder einig, würden sie die Umstellung nicht bewältigen können. Gerade in diesem ersten Jahr, das für sämtliche Landwirtschaftsbetriebe schwieriges Wetter mit sich brachte. Nebst der Bio-Community und dem Randenhof in Siblingen, der ebenfalls nach Demeter-Standards produziert, hilft daher die ganze Familie weiterhin mit: Grossvater Hans Eugen hilft mit dem Traktor und in der Werkstatt und ergänzt den Hofladen mit selber geimkertem Honig. Grossmutter Vreni serviert Zmittag und ist zudem Hofgärtnerin, kümmert sich um den Lavendel, die Kräuter und Blumen. Und die Eltern, Roland und Brigitte, unterstützen fachlich und ideell: Gerade zu Beginn hätten die Söhne zwei oder dreimal wöchentlich für Nachfragen angerufen. Ein Familienbetrieb ist der Landenhof also weiterhin – und mit dem Wechsel auf Demeter haben die Söhne offenbar offene Türen eingerannt. Schon die Eltern stellten auf die sogenannt regenerative Landwirtschaft um, ein Ansatz, der Pestizide und Kunstdünger ablehnt und die Biodiversität fördern will. Seine Erfahrungen kommen den Söhnen nun zugute.

Allmählich, sagen Eric und Lukas, sind sie ein eingespieltes Duo, in dem jeder nach seinen Stärken arbeiten könne. Im Selbst- und Fremdbeschrieb klingt das etwa so: Lukas, der kreative Kopf, der vor Ideen sprühe, dabei aber manchmal die Zeit vergesse. Und Eric der Realist, derjenige also, der diese Ideen dann auch umsetze. Von den Grosseltern vernimmt man, Lukas sei näher an den Tieren, Eric näher an den Maschinen und am Ackerbau. «Sie wurden von vielen gewarnt, dass eine solch enge Zusammenarbeit auf vielen Höfen nicht funktioniert», sagt Vater Roland. Bei den beiden aber könne er sich vorstellen, dass es klappt. «Dadurch, dass sie zusammen sind, sind sie stärker.»

Der Kreislauf setzt sich auch hier, im Kleinen, fort.