Die Wochenzeitung – 07. April 2022

Die drastisch steigenden Rohstoffpreise spürt zuallererst die Landwirtschaft – doch wer nicht erst seit gestern versucht, von den Weltmärkten loszukommen, ist im Vorteil. Unterwegs auf dem biodynamischen Hof Schüpfenried und im Kühlraum einer Gemüsegrossproduktion.

Von Benjamin von Wyl (Text) und Florian Bachmann (Fotos)

Download Artikel

 

…. …

Düngen mit Hühnermist

«Mein Traum vom Bioland Schweiz kommt», sagt der «Sahli Fritz». Es brauche Zeit. «Aber mit dem Älterwerden lerne ich, Geduld zu haben und den anderen Zeit zu lassen.» Seit 23 Jahren führt Sahli den Demeter-Hof Schüpfenried. Schon vor zwanzig Jahren sagte er gegenüber einer Lokalzeitung, dass er Rudolf Steiner nicht als Heiligen verehre, nur weil er nach biodynamischen Richtlinien Landwirtschaft betreibe. Der WOZ erklärt er heute den Hauptunterschied zwischen biodynamischer und biologischer Landwirtschaft so, dass im Biodynamischen auch das Soziale mitgedacht werde.

Der Hof Schüpfenried wenige Kilometer nordwestlich von Bern ist ein mit Schafwolle isolierter Holzneubau. Die verstreuten Nachbarhäuser in der grünen Landschaft entsprechen eher dem Klischeebild des Berner Bauernhofs – aber da wird meist nur noch gewohnt. Die «Schüpfenried» gehört hier zu den letzten Höfen und versorgt auch die Umgebung. Die Fotovoltaikanlagen auf jeder freien Fläche produzieren Strom für hundert Haushalte.

Alle sprechen derzeit über Kreislauflandwirtschaft, Fritz Sahli scheint sie zu leben. «Der Wiederkäuer ist mehr als Fleisch», sagt er. «Er ist das Herz der Landwirtschaft. Er verschafft mir den wertvollen Dünger.» Sahlis Stickstoff ist der Kuhmist, sein Phosphor stammt von den Hühnern, und mit gutem Kompost könne man jedes Gemüse düngen. In der Fruchtfolge sät Sahli aber auch Wiesen aus Gräsern und Klee – damit sich der Boden erholen kann.

Sahli betont aber, dass er noch keine Alternative für importierte Soja- und Rapskuchen – die Eiweissbestandteile im Hühnerfutter – hat. Zusammen mit Wissenschaftler:innen ist er momentan an der Züchtung eines «Zweinutzungshuhns», das auf weniger Proteine angewiesen ist. Bei Zweinutzungsrassen werden die weiblichen Küken zu Legehennen, die männlichen setzen Fleisch an und werden Masttiere. Die Hähne anderer Rassen werden meist schon als Küken getötet.

Mit dem Elektrolieferwagen fährt Sahli zum Hühnerstall draussen auf dem Feld. Der Stall ist mobil. Alle paar Monate zieht er ihn mit dem Traktor weiter. «Das Hühnerhaus bewegt sich mit der Fruchtfolge. Der Boden wird dabei ständig nachhaltig gedüngt», erklärt er. Im Stall ist alles automatisiert, die Hühner überwacht er per Video.

Einiges auf diesem biodynamischen Betrieb mutet futuristisch an. Doch es geht Sahli «um einen Spagat zwischen dem Technischen und dem Menschlichen». Zur «Schüpfenried» gehören sowohl ein integratives Förderprogramm für Menschen mit Lernschwierigkeiten als auch ein Hofcafé und eine Sauna für Ausflügler:innen. Es seien «viele kleine Projekte, die zusammenspielen». Sahli hofft, dass die «Schüpfenried» – nur eine Postautofahrt vom Bahnhof Bern entfernt – einen Beitrag leiste, «Stadt und Land gesellschaftlich zu verbinden». Er findet, ein Bauernhof müsse ein Zukunftsmodell für unsere Gesellschaft sein: mit kleinen kommunitaristischen Strukturen, aufs Langfristige ausgerichtet.

Ein Kleinbetrieb in Gross

Mit sechzig Hektaren Fläche gehört der Hof Schüpfenried in der Schweiz zu den grossen Betrieben. Hühner und Kartoffeln, Schweine und Kürbisse, Kühe und Mais – damit die Kreisläufe funktionieren, braucht es Vielfalt. «Wie auf einem Kleinbetrieb», sagt Sahli. Sein Modell, ist er überzeugt, würde in der Schweiz «tausendfach funktionieren». Aber dazu brauche es Landwirt:innen mit innerer Überzeugung.

Als er das sagt, winkt er aus dem E-Lieferwagen gerade einem entgegenkommenden Traktor zu. Der Bauer am Steuer grüsst zurück. Das sei ein Konventioneller, der manchmal Gülle für den Hof Schüpfenried ausfahre. «Da findet Austausch statt.» Fritz Sahli ist nicht in einer geschlossenen Ökobubble. «Ich spüre es bei vielen Landwirten: Das Umdenken zum Langfristigen ist im Gang.» Es brauche einfach Zeit.