Seit Juli 2021 gibt’s das traditionelle «Kafi crème» nicht nur in der Tasse, sondern auch in einigen Geflügelställen von Schweizer Demeter-Produzent*innen: Endlich konnten erste Zweinutzungs-Bruteier der Gebrauchskreuzung «Coffee und Cream1» der Ökologischen Tierzucht-Initiative ÖTZ gGmbH aus Deutschland importiert werden.

Nina Griessmeyer von der „Zweinutzungshühner-Brüterei Zürcher Oberland“ holt die Bruteier aus dem Camper, in welchem sie weich gebettet den Transport ohne Bruch überstanden haben.

Zwei Jahren lang bemühte sich der Verein für biologisch-dynamische Landwirtschaft intensiv darum, Bruteier und Elterntiere aus der deutschen Bio-Geflügelzucht in die Schweiz zu holen und den hiesigen Betrieben zur Verfügung zu stellen. Im Juli 2021 traf die Importbewilligung endlich ein, die ersten Eier der Gebrauchskreuzung «Coffee und Cream1» konnten bei der Ökologischen Tierzucht ÖTZ gGmbH in Deutschland abgeholt und in die Schweiz eingeführt werden.

Dazu Herman lutke Schipholt, Leiter der Koordinations- und Beratungsstelle Geflügel: «Wir sind vor ein paar Jahren angetreten mit dem Ziel einer nachhaltigen Geflügelhaltung. Das bedeutet, dass wir mit anpassungsfähigen Tieren arbeiten möchten, die für die biodynamische Haltung geeignet sind und bei denen sowohl die Hähne als auch die Hennen aufgezogen werden können.» Dafür wird mit der Ökologischen Tierzucht ÖTZ gGmbH zusammengearbeitet, welche sich seit 2015 der Züchtung extensiven Zweinutzungsrassen widmet.

Warum ist Bio-Züchtung nötig?

Bisher kommen auch in der Bio-Geflügelhaltung die Bruteier zu 99 % von Zuchttieren aus konventioneller Züchtung und von sogenannten Hybridtieren, deren Zucht in der Hand einiger weniger Konzerne weltweit liegt, die profit- und nicht tierwohlorientiert sind. Dagegen führt Inga Günther, Geschäftsführerin der ÖTZ folgende Argumente ins Feld: «Das Zweinutzungshuhn ist das Ökohuhn der Zukunft: Ohne Kükentöten, ohne Hochleistungsspezialisierung, ohne Konzerne. Dafür stehen Tierwohl und Tiergesundheit im Fokus.»

In der Schweiz gibt es bereits Demeter-Betriebe mit eigener Zucht von Zweinutzungstieren oder mit der Haltung von Tieren alter Rassen. Der Import der ersten Zweinutzungstiere aus Bio-Zucht bedeutet, dass fortan genügend Küken verfügbar sein werden für alle Produzent*innen, die dies möchten.  Ein wichtiger Schritt Richtung bäuerliche Autonomie und Tierwohl.

Argumente für Biozüchtung:

      • Konventionelle Zuchtziele und ökologische Haltung passen nicht zusammen.
      • Das Ziel von Biobetrieben ist die ressourcenschonende Fütterung. Eine der Voraussetzungen dafür sind Tiere mit grossen Mägen, weil sie dann weniger hochwertiges Eiweiss brauchen, einen höheren Anteil an Rohfasern verdauen können und auch von Resten satt werden.
      • In der extensiven Geflügelhaltung können Tiere beider Geschlechter ressourcenschonend aufgezogen und leistungsbedingte Krankheiten vermieden werden.
      • Eigenständige Strukturen in Produzent*innen-Hand lösen die Abhängigkeit von industriellen Strukturen ab.

Die Bibeli schlüpfen in neuer Zweinutzungshühner-Brüterei

«Demeter macht keine Poulet-Mast im üblichen Sinn. Die Aufzucht von Junghähnen sowie die Verwertung der Althennen ist in unseren Augen der einzig ethisch vertretbare Weg in Sachen Geflügelfleisch.» Herman lutke Schipholt

Am 16. Juli 2021 konnten die ersten 2200 Bruteier extensiver Rassen bei der ÖTZ abgeholt werden. Für die Ausbrütung gründete Nina Griessmeyer auf ihrem biodynamischen Betrieb neu die „Zweinutzungshühner-Brüterei Zürcher Oberland“. Hier wurden sie in die Brutmaschinen gelegt. Drei Wochen später schlüpften 1660 Bibeli.

Da die Elterntiere der Bruteier relativ jung waren, hatte man mit einer Schlupfrate von 60 % gerechnet, wie dies bei jungen Tieren zu erwarten ist. Tatsächlich betrug sie aber 75 % – und es könnten auch mal 90 % sein.

Diese grosse Spannbreite der Schlupfrate wird weiterhin eine grosse Herausforderung darstellen: Ein Brutbetrieb müsste immer einen leeren Stall bereitstehen haben, um überzählige Küken aufnehmen zu können. Bei einer geringeren Schlupfrate würde dieser dann leer stehen. Eine wirtschaftliche Herausforderung!

Geschlechtsbestimmung nach frühestens sechs Wochen

Nachdem die Eierschalen im Labor negativ auf Salmonellen geprüft worden waren, konnten die Küken an sieben Demeter-Betriebe mit Herden von 20 bis 850 Tieren ausgeliefert werden. Die Brüder- und Schwesterküken entwickeln sich positiv. Sie werden während mindestens sechs Wochen gemeinsam aufgezogen. Erst danach kann man die weiblichen und männlichen Tiere erkennen und sortieren. Die Geschlechtsbestimmung wird nicht vorher durchgeführt, weil sie grossen Stress für die Tiere bedeutet. Aber auch die gemeinsame Haltung bis vierzehn Wochen ist möglich; Betriebe mit vielen Nebenprodukten trennen vielleicht die Tiere besser mit sechs Wochen, weil die Hähne auch mit weniger hochwertigem Futter zurechtkommen.

Diese vier Wochen alten ÖTZ-Cream-Hähne und -Hennen sind in der Schweiz geschlüpft und wachsen gemeinsam auf dem Hof am Stei auf.

Ende November, nach einer vierzehnwöchigen Aufzuchtzeit, wird es die ersten Güggeli geben, welche auf den Aufzuchtbetrieben verkauft werden. Von den weiblichen Tieren werden die ersten Eier Mitte Dezember gelegt, 18 Wochen nach dem Schlupf.

Ausblick

  • Aktuell werden Bruteier noch eingekauft von der ÖTZ, denn es lohnt sich zurzeit noch nicht, eine eigene Elterntierherde zu halten. Erst wenn die Nachfrage nach den ÖTZ-Tieren steigt, wird dies möglich sein.
  • Weitere regionale Brütereien wie die „Zweinutzungshühner-Brüterei Zürcher Oberland“ werden aufgebaut.
  • Falls die Demeter-Organisation in der Schweiz dies so will, könnte es irgendwann nur noch Zweinutzungsgeflügel bei Demeter geben. Dies würde Folgen für den Preis haben, denn pro Huhn wird es 40 bis 50 Eier weniger geben als mit den bisherigen Rassen, dafür werden die «Althühner» und die Junghähne mehr Gewicht auf die Waage bringen.

Argumente für die Haltung extensiver Zweinutzungstiere

      • Angepasst an biodynamische Haltungsumgebung
      • Keine hochleistungsbedingten Krankheiten
      • Kein Kükentöten
      • Grosse Mägen, hohes Körpergewicht
      • Hohe Toleranz gegen schwankende Nährstoffdichten im Futter
      • Einsatz von hofeigenem regionalem Futter möglich
      • Zweinutzungstiere sind hervorragende Restenverwerter
      • Keine Abhängigkeit von industriellen Strukturen

 

1) Wissenswertes zu Coffee und Cream

Extensive Zweinutzungsrassen eignen sich speziell für biologisch wirtschaftende Betriebe: Sie sind gute Futterverwerter, Legeleistung und Fleischansatz sind bei ihnen ausgewogen.

Die ÖTZ „Cream“ und ÖTZ „Coffee“ sind klassische Zweinutzungshühner. Sie entstehen aus der einfachen Kreuzung von zwei Rassen: Aus Bresse Gauloise und White Rock entsteht „Cream“, eine weisse Henne mit weissem Hahn. Aus Bresse Gauloise und New Hampshire entsteht „Coffee“, eine bunte Truppe mit braunen, weissen und teilweise schwarz gemusterten Tieren. Die Gebrauchskreuzung ist ideal geeignet für die Bio-Geflügelhaltung.

Fakten ÖTZ COFFEE UND CREAM

  • Zweinutzung
  • Eier pro Jahr: 230–240
  • Eigrösse: Überwiegend M
  • Schalenfarbe: Hellbraun/beige
  • Legebeginn: LW 18/20
  • Lebendgewicht bei Legebeginn: 2,1 – 2,3 kg
  • Futterverbrauch bei 100% Biofutter: 135–145 g
  • Schlachtgewicht der Hähne 14. – 15 LW: 1,4 – 1,8 kg