oder: das Terroir in der Kaffeetasse entdecken
„Die Kaffeemacher“ setzen sich assoziativ wirtschaftend für eine neue Kaffeekultur ein
„Die Kaffeemacher“ sind die grösste und im Kursprogramm vielfältigste Kaffeeakademie der Schweiz. Ihre Kaffee-Reisen führen wahlweise direkt in die Anbauländer oder vermitteln in der hauseigenen Akademie das Handwerkszeug für die perfekte Zubereitung mit der Espressomaschine oder anderen Brühmethoden – für Heimanwender bis zum Mitarbeiter in einer Kaffeebar. Benjamin Hohlmann gründete 2011 die Kaffeemacher als Projekt im „unternehmen mitte“. Seit Anfang 2017 betreibt er die Kaffeemacher als eigenständige GmbH. Er war bis Ende 2016 während neun Jahren teilhabender Geschäftsführer und Wirt im Kaffeehaus unternehmen mitte. Der vielfach ausgezeichnete Kaffeesensoriker beantwortet die Fragen des Demeter Verarbeiter-Interviews.
Natürlich wird mir zu Beginn ein Kaffee angeboten. Und natürlich möchte ich wissen, worauf es dem Kaffeemacher Benjamin Hohlmann bei der Zubereitung ankommt. Überraschend für mich ist sein Griff zum Wasserkocher: „Ich werde jetzt einen Filterkaffee brühen.“ In mir steigen Erinnerungen an Skiferien auf, in denen man notgedrungen diesen sauren, dünnen Kaffee trinken musste, wollte man nicht ganz auf das geliebte Getränk verzichten. Ich denke: „Aha!“ und beobachte gespannt, wie Benjamin Hohlmann mit einer Präzisionswaage die Kaffeemenge abwägt, die er in das Filterpapier gibt und danach mit kräftigen Bewegungen mit dem kochenden Wasser übergiesst. „Ich habe einen Kaffee aus Kenia gewählt, eine helle Röstung. Wir rösten unsere Kaffees eher hell, damit das Terroir – der Boden und die Umgebung, in dem er gewachsen ist – spürbar wird. Dieser Kaffee hat eine fruchtige, helle, Note, sehr floral, mit etwas roter Johannisbeere, Mandel, Hagebutte … – würde ich daraus einen Espresso zubereiten, wären seine Fruchtnoten viel zu wuchtig, das würde einen erschlagen. So, als Filterkaffee, ist genügend Wasser mit dabei. Wir haben den Filterkaffee neu entdeckt, weil wir die Handschrift des Ursprungs schmecken möchten. Der Impuls kommt ursprünglich aus Skandinavien. Eine dunkle Röstung ergibt ein sehr intensives Röstaroma, das alle anderen Komponenten dominiert.“
Auf die Frage, warum er das Wasser so energisch schwingend ausschenkt, antwortet Hohlmann: „Wir wollen Zirkulation, das heisst, eine gezielte Menge Turbulenzen, um einen bestimmten Extraktionsgrad zu erreichen.“ Und dann der Vergleich in Zahlen: In meiner Tasse Filterkaffee befinden sind 1.3 % gelöster Kaffee, verwendet wurden 6 g Kaffeepulver auf einen Deziliter Wasser. Im Espresso befinden sich 7 bis 10 % gelöste Kaffeeteilchen, verwendet werden 9 g Kaffeepulver auf einen Vierteldeziliter Wasser.
Das Resultat? Mir als Sensorikbanause fällt als erstes die Harmonie auf: Frisch, rund, angenehm, weder dominant bitter noch dominant sauer, eine Fülle an Aromen, die ich jedoch nicht zuordnen kann. Einfach fein!
„Diesen Kaffee kann man erst noch langsam trinken – er schmeckt auch kalt!“ kommentiert Benjamin Hohlmann begeistert.
Wer sind die Kaffeemacher – oder anders gefragt: Wie würdest du euren Betrieb beschreiben?
Wir sind viele: Unter der Kaffeemacher GmbH befindet sich die Akademie, das Café Frühling, der CoRoasting Space mit den Rösterei Spring Roasters und die Kaffeeplantage Santa Rita in Nicaragua. Wir wirtschaften assoziativ, und dies sehr real sowohl durch die beteiligten Personen als auch durch die Struktur, die den Wertschöpfungsausgleich und die Risikoaufteilung vorschreibt.
Konkret tätig sind die Kaffeemacher als Röster, Baristi, Sensoriker oder in der Entwicklung und Erforschung von Kaffeeunternehmen. Unter dem Namen Kaffeemacher tragen wir Kaffee-Wissen und Kompetenz zusammen und schulen jedes Jahr über 1000 Menschen zum Thema Kaffee in unserer Akademie. Unsere Kurse richten sich an Privatpersonen, die Gastronomie, Röstereien und alle Tätigen auf der Kaffeekette von der Kirsche am Baum bis in die Tasse. Als Röster bieten wir im CoRoasting Space jedermann die Gelegenheit, den Kaffee nach eigenen Kriterien zu rösten und unter eigenem Label herauszugeben.
Was ist in eurem Betrieb Demeter?
Zum einen ist es die Firmenstruktur des gelebten assoziativen Wirtschaftens. Uns interessiert die Frage: „Wie stellen wir Unternehmen auf, die zukunftsfähig sind? Wir sind ein sinnorientiertes, nicht gewinnorientiertes Unternehmen. Gewinn ist das Gleitmittel, um wieder Neues kreieren zu können. Er landet nicht in unseren eigenen Taschen, sondern wird zum Wohl des Ganzen immer gleich wieder in das Unternehmen investiert. Unser Ziel ist, ausgleichend über die Kaffee-Wertschöpfungskette tätig zu sein. Der Sinn besteht für uns darin, der Gesamtheit aus Natur, Mensch und Kosmos zu dienen. Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes gemeinnütziges Unternehmen. Zum andern sind es die biodynamisch angebauten Kaffeebohnen, die wir weiterverarbeiten.
Was heisst Demeter für die Verarbeitungsprozesse? Was tut ihr, damit die biodynamische Qualität erhalten bleibt?
Beim Rösten tun wir nichts Spezielles. Selbstverständlich halten wir die Bohnen unterschiedlicher Herkunft streng auseinander. Beim Einkaufen bleiben wir unserer Grundphilosophie treu und geben Perspektiven weiter, die Entwicklung ermöglichen. Wir zeigen beispielsweise unseren Partnern in Nicaragua die beeindruckenden Resultate aus dem biodynamischen Kaffeeanbau in Honduras und motivieren sie, Richtung biodynamisch zu gehen, den Betrieb als Organismus zu denken, den Boden zu verbessern. In Honduras ist das sehr eindrücklich zu sehen: Die schaffen es, 45 Hektaren innerhalb eines Hoforganismus biodynamisch zu bebauen, die Pflanzen sind gesund, sie können genügend Kraft aus dem Boden ziehen, um mit den Krankheiten wieder selbst fertig zu werden. Dagegen verliert der konventionelle südamerikanische Kaffeebauer 50 % seiner Pflanzen an den Kaffeerost, einen tödlichen parasitären Pilz. Die biodynamisch angebauten Pflanzen werden zwar ebenfalls befallen, aber sie schaffen es, mit ihm fertigzuwerden und überleben. Das beeindruckt einen Bauern! Aber der Weg ist weit …
Die sensorische Beurteilung ist übrigens ein wunderbares Instrument, um dem Produzenten differenzierte Rückmeldungen zu geben. Diese hilft ihm, bestimmte Dinge in der Kultivierung seiner Pflanzen zu verändern und das Produkt zu verbessern, denn jede Verbesserung im Boden, jede Kräftigung der Pflanze zeigt sich in einer reicheren Aromenfülle.
Was überzeugt dich am Label Demeter? Was ist problematisch, könnte verbessert werden?
Ganz vorneweg: Ich finde ein Label immer eine Krücke, die dazu da ist, den Weg zum Ziel zu überbrücken, um dann überflüssig zu werden. Der Standard, für den das Label steht, soll Kultur, soll Normalität werden. Ein Label hat immer einen bestimmten Fokus, hält an bestimmten Punkten fest und schliesst dadurch andere Bereiche aus. Es kann für ein Label zur Falle werden, wenn es diesen einstmals sinnvollen Fokus aufgeben, hinter sich lassen muss, um den nächsthöheren Schritt zu tun.
Im biodynamischen Sinnzusammenhang wird durch das Label dafür gesorgt, dass die Standards eingehalten werden. Schwierig wird es, wenn sich die Menschen hinter dem Zertifikat verstecken und sich nicht weiterentwickeln. Dann ist es nicht mehr echt. Anthroposophie sollte heute in der Betriebsstruktur, im Leben, in den reellen Bezügen drin sein, sollte ein selbstverständlicher Teil des Produzierens und Verarbeitens werden.
Positiv für mich ist, dass die Sorgfalt im Umgang mit dem Kaffee im Biodynamischen angelegt ist. Demeter ist momentan das positivste Label im Bereich Bio und Fairtrade. Die Qualität des Demeter-Kaffees stimmt! Das Problem, das in den übrigen Bereichen besteht: Hochqualitatitiver Kaffee wird hochpreisig verkauft – da reden wir von anderen Preisen als im Biofachgeschäft. Nicht-hochqualitativer Kaffee wird durchgelabelt und somit wertschöpfender weiterverkauft. Aber wie gesagt: Bei Demeter-Kaffee stimmt die Qualität!
Wird das wachsende Bewusstsein in Bezug auf Ernährung und Nahrungsmittelqualität für den Betrieb spürbar?
Ja, sehr. Und zwar beginnt das immer zuerst bei den einzelnen „Privatmenschen“. Diese machen 50 % der Kursbesucher aus. Und dann folgt die Gastronomie: Sie nimmt die gestiegenen Erwartungen der Gäste an die Qualität der Produkte und das Bedürfnis nach transparenten Warenflüssen wahr und reagiert darauf, indem sie sich ebenfalls weiterbildet und entwickelt.
Was antwortet ihr einem Konsumenten, wenn er einige eurer Produkte zu teuer findet?
Unsere Kunden sind qualitätsorientiert und wissen den Wert von Demeter- bzw. Spezialitätenkaffee zu schätzen. Heute sind Massenqualitäten zwar spottbillig, aber sogar so könnte jeder Röster den Produzenten einen besseren Preis bezahlen.
Welches Interesse steht dahinter, diesen besonderen Verarbeitungsbetrieb zu führen?
Ich sehe eine Perspektive für den Kaffeeanbau an sich, der nur mit bio bzw. biodynamisch überhaupt weitergehen wird. Warum? Die Böden sind am Ende. Sie sind derart übersäuert, der Aluminiumanteil ist massiv zu hoch – mancherorts geht es schon heute nicht mehr weiter. Der ökonomische und ökologische Crash steht bevor. Der Kaffeeanbau an sich ist recht perspektivenlos. Das Agrarfeld wird grösstenteils von Kleinstproduzenten betrieben, die über kein Wissen verfügen, wie sie den Krankheiten begegnen könnten. Dagegen schafft der biodynamische Ansatz die Möglichkeit, eine autarke Lebensgrundlage für eine Familie zu kreieren. Zusätzlich kann durch das assoziative Zusammenarbeiten Geld fliessen, das für die Überbrückungsphase notwendig ist, ohne dass daraus eine fatale Abhängigkeit entstehen würde. Da sehe ich einen Weg für die Zukunft, das ist für mich sinnvoll.
Der Kaffeemarkt ist in der Krise; es wird zwar die gleiche Menge Kaffee produziert, aber es kommt weniger auf den Markt, weil die Chinesen und die Inder ihren Kaffee selbst zu trinken beginnen. Es gibt ein dramatisches Nachwuchsproblem, viel zu wenig Arbeiter stehen zur Verfügung. Das kann nur ändern, wenn in die Landwirtschaft eine neue Kultur einzieht, wenn sie dem Bauern ein aussichtsreiches, gutes Leben ermöglicht.
Wenn du das Unternehmen befragst, wie der Bauer seinen Boden, was stellst du fest? Ist es im Gleichgewicht? Fehlt ihm etwas?
Im Moment ist hier bei uns sehr vieles angelegt, es gibt viel positive Resonanz in der Gesamtkonstellation, aber gleichzeitig müssen wir nun an einzelnen Stellen einiges mehr vertiefen. Wir müssen im Mikrokosmos an der Kultur arbeiten. Ein Vorteil unserer Struktur ist, dass wir schnell auf auftauchende Fragen reagieren können, aber das braucht alles sehr viel Kraft, denn es sollen sich ja alle entwickeln können. In der Ideenausstossung sind wir sehr schnell; das Vertiefen ist die Herausforderung.
Zum Schluss hast du einen Wunsch frei – oder mehrere.
Ich wünsche mir
- …. viele gute Leute, die zu den Kaffeemachern stossen und mitmachen.
- … einen Bio-Bodenfonds für Kaffee: Wir verlieren zum Beispiel in Afrika allzu viel potentielles gutes Land an chinesische Investoren – mir schwebt ein positives Landgrabbing vor.
- … Darlehensformern für unternehmerische Impulse, die dem Unternehmer Freiheit schenken für neue Entwicklungen, so dass nicht Rendite das eiserne Ziel sein muss, dem ökologische, soziale und lebensfördernde Aspekte geopfert werden.
- … biodynamisches Saatgut für den Kaffee: Der Kaffee als Pflanze ist auch deshalb in der Krise, weil er als Auswanderer (von Afrika nach Südamerika und Asien) auf der Basis von nur gerade zwei Pflanzen für 98 % der beispielsweise brasilianischen Arabica-Produktion verantwortlich ist. Damit haben Krankheiten und Insekten-Plagen leichtes Spiel. Der genetische Reichtum dagegen liegt in Ostafrika, Ähtiopien, Sudan, Madagaskar …
- … ein wachsendes Netzwerk.
Unterdessen ist der letzte Schluck von meinem Filterkaffee kalt geworden. Ich koste ihn. Ein erfrischendes, rundes Getränk, auch jetzt weder zu sauer noch zu bitter und keineswegs fad. Man kann diesen Kaffee ähnlich trinken wie einen Tee oder einen Fruchtsaft. Es tun sich neue Genuss-Welten auf.
Vielen Dank, Benjamin Hohlmann, für dieses erhellende Gespräch bei einer Tasse schwarzen Kaffees. Wir wünschen euch Kaffeemachern alles Gute und die Erfüllung eurer Wünsche.