Pionier Fredi Strasser, Bioberater der ersten Stunde, hat während 37 Jahren am Strickhof Biolandbau unterrichtet. Nun geht er in Pension. Fredi Strasser hat sich den Biolandbau zur Lebensaufgabe gemacht. Nebst seiner Tätigkeit als Bioberater und Lehrer am Strickhof führte er mit seiner Frau Maria einen Demeterbetrieb mit 12 ha Land, davon 8,5 ha Reben, und Kellerei. Besonders am Herzen liegen ihm die pilzwiderstandsfähigen Rebsorten (Piwi-Sorten). Die BauernZeitung blickt mit ihm auf sein Wirken zurück.

Esther Thalmann | BauernZeitung, 6. Aug. 2021
A wie Autor: Im vergangenen Oktober erschien das Buch «Pilzresistente Traubensorten, Reben biologisch pflegen, naturreinen Wein geniessen» von Fredi Strasser. «Ich habe im Laufe der Jahre so viel Wissen im Unterricht, an Kursen oder Vorträgen weitergegeben. Ein Kollege sagte zu mir: ‹So Fredi, jetzt schreib endlich mal ein Buch!›» (Angaben zum Buch¹.)
B wie Biolandbau: Fredi Strasser sagt von sich: «Ich habe mir den Biolandbau zu meiner Lebensaufgabe gemacht. Der Strickhof schrieb 1984 als allererste Landwirtschaftsschule der Schweiz eine Stelle für einen Bioberater aus.» Mit viel Selbstvertrauen bewarb sich der bodenständige Bauernsohn und frisch studierte Agronom ETH auf die Stelle und bekam sie.
«Zuerst lernte ich wohl vor allem von den Biobauern. Dann schaltete ich auf Beratermodus um: ich vernetzte Menschen in Bioarbeitskreisen, organisierte Maschinenvorführungen und Betriebsbesuche. Ich wurde zu einer Lerndrehscheibe und blieb es bis zum Schluss.» Fredi Strasser schätzt, dass er in seinem Leben etwa 3000 Menschen in Biolandbau ausgebildet hat.
C wie CO2: Indem in Fredi Strassers Rebbergen pilzwiderstandsfähige Sorten wachsen, kann er pro Jahr und Hektare 500 kg CO 2 einsparen. Berechnet hat er dies anhand des eingesparten Treibstoffverbrauchs im Vergleich mit den Durchfahrten eines durchschnittlichen, konventionellen Rebbaubetriebs. «Andere Studien kamen auf ähnliche Resultate.» Schweizweit könnten mit dem Wechsel auf Piwi-Rebsorten 3900 t CO 2 eingespart werden.
D wie Demeter: «Demeter ist für mich das Tüpfchen auf dem i, und ich habe das Gefühl, dass meine Trauben mich noch etwas freundlicher anlächeln», meint Fredi Strasser mit einem Strahlen im Gesicht. Für ihn ist die Kombination von Piwi-Sorten und der biodynamischen Landwirtschaft eine logische. Auf dem Gut Rheinau hat er den gesamten Rebbau auf Demeter umgestellt. «Mir gefällt, dass man beim Rühren und Ausbringen der Präparate innehalten kann.» Mit Religion habe das nichts zu tun, in erster Linie wolle er ein guter Biobauer sein.
E wie liebste Erinnerung: «Die Befreiung der Winzer von der Sortenliste», kommt es wie aus der Pistole geschossen. Fredi Strasser setzte sich zusammen mit SP-Politiker Andrea Hämmerle und anderen dafür ein, dass die zwingende Rebsortenliste abgeschafft wurde. Gemäss dieser waren Piwi-Sorten in der Schweiz verboten. «Es war für mich ein Lebensdurchbruch, gesunde Pflanzen setzten zu dürfen.»
F wie Familie: Fredi Strasser und seine Frau Maria haben vier Kinder: «Andri wird den Hof übernehmen, Flurina hat bei mir die Biolandbau-Ausbildung gemacht und Volkswirtschaft studiert, Ursin hat eine Ausbildung als Kaufmann und Önologe gemacht und Marius ist von Beruf Automatiker. Ich empfinde grosse Dankbarkeit, dass wir zusammen eine grosse Schaffenskraft haben. Maria und ich ziehen am selben Strick.»
G wie Gift: Fredi Strasser erinnert sich gut daran, wie man früher giftige Mittel ohne Schutz, mit Spritzpistole und Schlauch in grossen Mengen ausbrachte: «Dabei sahen wir doch den Totenkopf auf der Packung. Wir mussten lernen, dass auch abbaubare Mittel sich in Fischgift umwandeln, wenn sie in Einzelkomponenten zerlegt werden.»
Am 13. Juni stimmte der Biobauer Ja für die «Initiative für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide». Die Ja-Fahnen, die mehrmals nachts abgeschnitten wurden, hängen noch ums Haus herum.
H wie Hobby: Hat jemand wie Fredi Strasser überhaupt ein Hobby? «Aber klar doch! Meine Pferde. Ich reite, spann sie vor meine Kutsche und arbeite mit ihnen.» Familie Strasser hält vier Tinker-Pferde. Das waren früher die Wagenpferde der irischen Fahrenden. Die Rasse zeichnet sich durch ihre Ruhe aus und ist sehr Mensch-bezogen.
I wie beste Idee: «2010 war bei uns im Dorf ein Weinbaubetrieb zu kaufen. Zur Versteigerung kamen über hundert Leute und auch wir wollten endlich neben den bisherigen Rebflächen einen eigenen Hof haben.» Fredi Strasser bereitete sich sehr sorgfältig auf die Versteigerung vor und überlegte sich den Preis genau. Er rief eine Summe über der Verschuldung des Hofs, aber mit der Endzahl 58. «Wegen der ungewohnten Zahl waren die Anwesenden irritiert und vergassen zu bieten, ausserdem glaube ich an die Symbolik der 58.» 1958 ist das Baujahr des Hofs und gleichzeitig Fredi Strassers Jahrgang.
J wie liebste Jahreszeit: «Der Sommer. Er ist warm, die Sonne scheint und die Tage sind lang. Ausserdem wächst alles so schön, wenn es denn ein schöner Sommer ist.»
K wie Keller: Nachdem die Kellerei, die seinen Wein herstellte, Wein vermischte, entschloss sich Fredi Strasser 2003, seinen Wein selber zu machen. «Ich wollte jeden Arbeitsschritt unter Kontrolle haben. Innerhalb eines Monats richteten wir unseren Keller ein.» Mit Hilfe von Fachpersonen, Büchern und mit einem Praktikum bei der Kellerei Zweifel legte er los. 2019 kelterte er zum letzten Mal. Seit letztem Jahr verarbeitet Biowinzer Roland Lenz seine Trauben.
L wie Landwirtschaft: «Bei der Reduktion der Hilfsstoffe ist viel passiert. Ich wünschte mir aber noch mehr Mut, dass breiter natürliche Biomittel verwendet werden. Was mir Sorgen bereitet, sind die grossen, schweren Maschinen. Sie machen den Boden kaputt.» Über die biologische Landwirtschaft sagt Fredi Strasser: «Sie ist modern, effizient und ertragssicherer geworden. Oft fehlt mir aber die Dynamik und die Aufbruchstimmung der ersten Jahre. Es braucht wieder Biopioniere.»
M wie Mikroorganismen: Die Bodenlebewesen sind Fredi Strassers Lieblingsthema. Wenn er von ihnen spricht, scheint er innerlich zu glühen. «Wenn ich auf Feldbesichtigung bin, habe ich immer einen Spaten dabei. Ich will die Bodenbeschaffenheit sehen und sie für andere sichtbar machen.»
N wie Neugierde: « Wir Biobauern sind Kracks und Tüftler, suchen nach Erklärungen. Die Natur ist spannend, da wird man automatisch neugierig.» Natürlich wollte Fredi Strasser mehr wissen, als er das erste Mal von den Piwi-Sorten hörte. «Mein Professor an der ETH sagte, das sei vielleicht etwas für abgelegene Rebberge, die müsse man dann weniger spritzen. Aber den Wein, den könne man nicht trinken.»
O wie Offenbarung: Die ersten Piwi-Weine empfand Fredi Strasser als Neugeburt des Weins. «Die Natürlichkeit der Rebberge spiegelt sich darin wider.»
P wie Pionier: «Ja, wahrscheinlich kann man mich als Pionier bezeichnen. Ich nahm das aber nicht bewusst war», meint Fredi Strasser. Er sei ein Agronom, der mehr will, deshalb habe er Versuche gemacht und Neues ausprobiert. «Ich wollte die Welt verändern!»
Q wie Qualität: «Hinter diesem Wort steckt für mich die hohe Qualität des Biolandbaues für Nahrung , Natur und Leben.»
R wie Rebbau: Als Bub ging Fredi Strasser nicht gerne in die Reben. Es war ihm zu heiss, zu trocken und alles war kahl gespritzt. «Irgendwann überwiegte dann die Liebe zu den Pflanzen das Melken. Rebbau fordert ein vertieftes Wissen, das gefiel mir.»
S wie Sortenliste: Die verpflichtende Rebsortenliste wurde 1994 abgeschafft (siehe auch E).
T wie Thurgau: «Ich bin in Nussbaumen, im Thurgau aufgewachsen und lebe im zürcherischen Stammheim, gleich an der Grenze zu meinem Heimatkanton.» Im Gegensatz zum urbanen und temporeichen Kanton Zürich empfindet Fredi Strasser den Thurgau als bewahrend. «Jedoch im positiven Sinn. Die Leute sind stille Schaffer.» Strasser pflegte eine intensive Zusammenarbeit mit dem Thurgauer Bioberater.
U wie Unterricht: Am 9. Juli übergab Fredi Strasser den Schülerinnen und Schülern seiner letzten zwei Klassen die Diplome. «Während 37 Jahren hatte ich vor jeder Schulstunde ein Kribbeln im Bauch und etwas Lampenfieber. Sobald ich jedoch vor der Klasse stand, lief ich zur Höchstform auf.» Seine Wandtafelzeichnungen z. B. zu den Knöllchenbakterien oder zur Photosynthese bezeichnet er als legendär. Er sei nicht Schulmeister gewesen, sondern habe die jungen Leute für den Biolandbau begeistert, ihre Neugierde und ihren Pioniergeist geweckt.
V wie Vermarktung: Piwi-Weine sind anders als herkömmliche Weine, die Vermarktung sei deshalb nicht ganz einfach. «Es sind neue Weine – für neugierige und unvoreingenommene Menschen.» Die ersten Flaschen verkaufte Fredi Strasser an Hoffesten und Biomärkten. Er gründete zusammen mit Biowinzerkollege Roland Lenz die Firma Naturtalent, die die Vermarktung der Piwi-Weine weiter vorantreibt.
W wie Wein: «Ich liebe meinen Muscanero, ein Wein aus der Traubensorte Muscat Bleu mit einem Teil trockener Beeren und aus dem Barrique. Er ist schön traubig, knackig, mit einem Bouquet von Veilchen und Rosen. Der kraftvolle Wein ist gehaltvoll und breit. Er ist der letzte grosse Wurf aus unserem Keller, ich entwickelte ihn zusammen mit Sohn Andri.»
X wie x-mal: «Ich musste mich im Leben immer wieder aufrichten. Sei es nach persönlichen Schicksals- oder beruflichen Rückschlägen. Als Biomensch war ich einem rauen Klima ausgesetzt. Rückblickend kann ich aber sagen, das Glück war immer auf meiner Seite.»
Y wie Yoga: Yoga habe er noch nie gemacht, aber er turne regelmässig und entspanne sich auf der Fakirmatte, meint Fredi Strasser. «Manchmal bin ich von morgens 4 Uhr bis Mitternacht mit dem Traktor unterwegs. Das würde ich ohne Turnübungen gar nicht durchhalten.»
Z wie Zukunft und zweites Buch: Seine Zukunft wolle er ruhig, gelassen und gemächlich angehen, sag Fredi Strasser. «Ich werde keine Führungen, keinen Unterricht und keine Bioweinkurse mehr machen. Ich will Freundschaften pflegen und wenn Not am Mann ist, meinem Sohn etwas auf dem Hof helfen.» Er sei froh, als Agronom nicht mehr liefern zu müssen.
Ob es ein zweites Buch geben wird? «Das erste war ein Riesenaufwand, noch ist die Zeit nicht reif für ein weiteres. Aber Geschichten hätte ich noch viele zu erzählen.»
¹ Fredi Strasser, Franziska Löpfe, Fotos Jürg Willimann, «Pilzresistente Traubensorten, Reben biologisch pflegen, naturreinen Wein geniessen», Haupt Verlag, 248 Seiten, 39 Franken.